Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Bezugsdauer. Bestimmtheit des Bewilligungsbescheids. ungeklärte Erwerbsfähigkeit. Nachrang der Sozialhilfe
Orientierungssatz
1. Das SGB 12 enthält keine verbindliche Regelung für die regelmäßige Bezugsdauer der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel. Es steht dem Sozialhilfeträger deshalb frei, die Hilfe für einen längeren Zeitraum als nur für einen Monat zu bewilligen (vgl BVerwG vom 19.1.1972 - V C 10.71 = BVerwGE 39, 261). Wenn der Träger aber, insbesondere im Hinblick auf eine für die Behörde einfachere Möglichkeit der Leistungseinstellung durch schlichtes Verwaltungshandeln die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nur Monat für Monat gewähren will, muss er dies im Bewilligungsbescheid durch entsprechende, für den Hilfeempfänger verständliche Formulierungen deutlich machen. Sonst handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung.
2. Mit der Leistungsgewährung nach dem Dritten Kapitel des SGB 12 nimmt der Sozialhilfeträger weder eine fehlende Erwerbsfähigkeit eines schwerbehinderten Antragstellers an noch ist er zu einer Prüfung dieses Merkmals selbst befugt. Denn nach der seit dem 1.1.2005 geltenden Rechtslage hat grundsätzlich vorrangig die Bundesagentur für Arbeit nach § 44a SGB 2 festzustellen, ob ein Hilfesuchender erwerbsfähig ist und bis zu einer amtsärztlichen Feststellung der Voraussetzungen des § 8 Abs 1 SGB 2 vorläufig Leistungen zu gewähren. Allein der Umstand, dass der Hilfebedürftige schwerbehindert ist, führt nicht dazu, dass der Sozialhilfeträger nach § 45 Abs 1 SGB 12 verfahren und den zuständigen Träger der Rentenversicherung zur Prüfung einer vollen Erwerbsminderung iS des § 41 Abs 1 Nr 2 SGB 12 veranlassen müsste.
3. Der Bezug von Leistungen nach dem SGB 12 bleibt auch dann ausgeschlossen, wenn sich der Hilfebedürftige weigert, den für Leistungen nach dem SGB 2 erforderlichen Antrag zu stellen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 1. Dezember 2005 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der in der Antragsschrift vom 27. Oktober 2005 sinngemäß enthaltende Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. Oktober 2005 aufschiebende Wirkung hat.
Die Anschlussbeschwerde des Antragsgegners gegen den genannten Beschluss des Sozialgerichts wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die gesamten außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
Der 1946 geborene Antragsteller, der seit 1999 als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 80 anerkannt ist, bezog vom Antragsgegner seit Jahren laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz - BSHG -, wobei davon ausgegangen wurde, dass er ein Zimmer zur Untermiete bewohnte und seine Vermieterin Frau K. für ihn verschiedene hauswirtschaftliche Verrichtungen (Einkaufen, Kochen, Sauber machen, Wäsche waschen) im Umfang von täglich ca. 30 Minuten übernahm, für die der Antragsgegner Leistungen nach § 11 Abs. 3 BSHG gewährte. Für Dezember 2004 betrug die reguläre Hilfe zum Lebensunterhalt 536,04 €.
Unter dem 16. Dezember 2004 erteilte der Antragsgegner dem Antragsteller einen Bewilligungsbescheid mit im Wesentlichen folgenden Wortlaut:
“Ich zahle Ihnen Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) vom 01.01.2005 bis auf weiteres in Höhe von monatlich 588,04 €. Die Leistung wird monatlich im Voraus und unverändert gezahlt, solange die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sich nicht ändern.
Begründung:
Die Hilfe zum Lebensunterhalt ergibt sich aus der Differenz zwischen dem sozialhilferechtlichen Bedarf und dem anzurechnenden Einkommen sowie dem einzusetzenden Vermögen (§ 19 Abs. 1 SGB XII). Die Berechnung ist als Anlage beigefügt.
Weitere Hinweise zum Leistungsbezug ersehen Sie aus dem beiliegenden Merkblatt. Es enthält unter anderem wichtige Informationen über ihre Rechte und Pflichten."
Nachdem ein Sonderprüfdienst des Antragsgegners anlässlich eines Hausbesuches am 23. September 2005 eine “klassische" Wohnraumaufteilung in Wohnzimmer, kleines Ess-/Arbeitszimmer und Schlafzimmer mit großem, gemeinsamen Kleiderschrank und Doppelbett ohne weitere Schlafgelegenheiten vorgefunden hatte, forderte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 23. September 2005 unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflichten unter Fristsetzung bis zum 15. Oktober 2005 auf, Einkommensunterlagen der Frau K. vorzulegen, weil nach den Wohnverhältnissen eine eheähnliche Gemeinschaft anzunehmen sei. Anderenfalls werde die Leistung gemäß § 66 SGB I entzogen. Der Antragsteller und Frau K. erklärten daraufhin jeweils schriftlich, dass sie aus rein praktischen Gründen das Schlafzimmer teilten. Es bestehe keine eheähnliche Gemeinschaft, zumal der Antragsteller schwul sei.
Mit Bescheid vom 12. Oktober 2005 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass die bisher nach dem SGB XII gewährte Hil...