Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankengeld. Ruhen wegen verspäteter Meldung der Arbeitsunfähigkeit. Nichtzugang der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Krankenkasse. Risikobereich des Versicherten
Leitsatz (amtlich)
1. Die Beweislast für den rechtzeitigen Zugang einer per Brief übersandten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Krankenkasse liegt grundsätzlich beim Versicherten; ein Abhandenkommen der Postsendung auf dem Weg zur Krankenkasse liegt in seinem Risikobereich.
2. Abgrenzung zu und Fortführung von LSG Berlin-Potsdam vom 5.11.2020 - L 9 KR 204/19.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum 7. bis 29. Januar 2017.
Die Klägerin, eine Schulsekretärin, ist bei der Beklagten krankenversichert. Seit Ende Oktober 2016 war sie aufgrund einer transienten globalen Amnesie arbeitsunfähig; später wurden Anpassungsstörungen, Unwohlsein und Ermüdung sowie eine depressive Episode diagnostiziert. Bis zum 11. Dezember 2016 erhielt die Klägerin Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber.
Eine von der behandelnden Nervenärztin ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 7. Dezember 2016, die Arbeitsunfähigkeit bis 6. Januar 2017 feststellte, reichte die Klägerin bei der Beklagten ein. Die Folgebescheinigung vom 6. Januar 2017, die Arbeitsunfähigkeit bis zum 1. Februar 2017 feststellte, gelangte erst am 30. Januar 2017 zu den Akten der Beklagten.
Mit Bescheid vom 2. Februar 2017 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der Nettobetrag des Krankengeldes ab 12. Dezember 2016 52,57 Euro betrage; zuvor hatte die Beklagte durch Bescheid vom 1. Februar 2017 verfügt, für den Zeitraum 7. Januar 2017 bis 29. Januar 2017 kein Krankengeld zahlen zu können, weil es insoweit an der rechtzeitigen Meldung der Arbeitsunfähigkeit fehle.
Mit ihrem gegen den Bescheid vom 1. Februar 2017 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 6. Januar 2017 noch am Tag des Arztbesuchs zur Post gegeben, adressiert an die Beklagte in 42267 Wuppertal, und dann sofort (erneut) bei der Beklagten eingereicht, nachdem sie in einem Telefonat vom 30. Januar 2017 erfahren habe, dass die Bescheinigung dort noch nicht vorliege. Eine Mitarbeiterin der Beklagten habe ihr telefonisch zugesichert, dass nahtlos Krankengeld gezahlt werden könne.
Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 15. März 2017 zurück. Der Anspruch auf Zahlung von Krankengeld ruhe gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V im Zeitraum 7. bis 29. Januar 2017, weil die Klägerin ihre Meldepflicht verletzt habe. Die Gefahr des nicht rechtzeitigen Eingangs der Meldung trage die Klägerin als Versicherte; die Ruhensvorschrift greife auch dann, wenn rechtzeitig aufgegebene Post verloren gehe.
Mit der Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Für die rechtzeitige Aufgabe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 6. Januar 2017 könne sie auch einen Zeugen benennen. Sie fühle sich als Verbraucherin schutzlos. Auch müsse sie sich auf die telefonische Zusicherung der Barmer-Mitarbeiterin im Telefonat vom, 3. Januar 2017 verlassen können. Überhaupt sei die Beklagte erst Anfang Februar 2017 tätig geworden; die erste Krankengeldzahlung habe sie erst am 3. Februar 2017 erhalten.
Die Beklagte hat im Klageverfahren betont, das Risiko eines Abhandenkommens von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auf dem Postweg liege grundsätzlich bei den Versicherten. Es sei belegt, dass die Arbeitsunfähigkeit erst am 30. Januar 2017 telefonisch gemeldet worden sei. Neben dem am 30. Januar 2017 in einer Geschäftsstelle in Berlin abgegebenen Exemplar seien bei der Beklagten keine weiteren Fassungen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 6. Januar 2017 eingegangen. Zu ihrem Posteingangsmanagement im fraglichen Zeitraum hat die Beklagte erklärt: An die Barmer in 42267 Wuppertal adressierte Briefe mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gingen direkt an das Dienstleistungszentrum und würden dort nach händischer Kontrolle „immer taggleich“ eingescannt und elektronisch archiviert. Die aufgebrachte Signatur entspreche den gesetzlichen Vorgaben und umfasse einen nicht veränderbaren verschlüsselten Eingangsstempel. Bei einer Geschäftsstelle abgegebene Briefe würden vor Ort mit einem Eingangsstempel versehen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schreiben der Beklagten vom 12. April 2018 (Gerichtsakte Bl. 41) und vom 6. November 2018 (Gerichtsakte Blatt 51) Bezug genommen.
Mit Urteil vom 21. Oktober 2019 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Zwar sie die Klägerin als Beschäftigte mit einem Anspruch auf Krankengeld krankenversichert gewesen und an ihrer Arbeitsunfähigkeit im streitigen Zeitraum bestehe kein Zweifel. Allerdings habe der Anspruch auf Krankengeld im streitigen Zeitraum geruht, weil die Meldung erst nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Wochenfrist am 30. Januar 2017 erfolgt sei. Die Meldung der Arbeitsunfähigkeit sei eine Obliegenhe...