Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Ruhen des Krankengeldanspruchs. Übermittlungsrisiko bei Zusendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Pflicht der Krankenkassen, ihre Versicherten über die Schließung von Geschäftsstellen zu unterrichten. Geschäftsstelle als Empfangsstelle für den Briefverkehr für Versicherte. Weiternutzung der Postadresse einer geschlossenen Geschäftsstelle durch den Versicherten mangels Kenntnis von der Schließung und kommentarloser Erhalt von Leistungen. schutzwürdiges Vertrauen in den Übermittlungsweg. kein fristgemäßer Zugang einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen des Endes eines für eine geschlossene Geschäftsstelle bestehenden Nachsendeauftrags. Ausnahmefall
Leitsatz (amtlich)
1. Krankenkassen müssen ihre Versicherten über die Schließung von Geschäftsstellen unterrichten.
2. Wenn Geschäftsstellen auch Post von Versicherten übermitteln, eröffnen Krankenkassen damit Empfangsstellen für den Briefverkehr für Versicherte.
3. Nutzen Versicherte die Postadressen geschlossener Geschäftsstellen mangels Kenntnis von der Schließung weiter und erhalten deshalb kommentarlos Leistungen, kann das schutzwürdiges Vertrauen in den Übermittlungsweg begründen.
4. Geht eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen des Endes eines für eine geschlossene Geschäftsstelle bestehenden Nachsendeauftrags nicht innerhalb der Wochenfrist nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit zu, kann ein Ausnahmefall vorliegen, in dem das Krankengeld nicht nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V zum Ruhen kommt.
Orientierungssatz
Versicherte haben das jeden Postnutzer treffende Übermittlungsrisiko grundsätzlich selbst zu tragen. Vorliegend hat sich jedoch nicht das reine Übermittlungsrisiko verwirklicht, sondern die Krankenkasse hat eine nicht hinwegzudenkende Bedingung dafür gesetzt, dass die Postsendung nicht zuging.
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2019 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13. November 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 2018 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 18. Oktober 2017 bis zum 5. November 2017 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 79,64 Euro zu zahlen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Auszahlung von Krankengeld für die Zeit vom 18. Oktober 2017 bis zum 5. November 2017 von kalendertäglich (brutto) 79,64 Euro.
Die Klägerin ist 1954 geboren und ist bei der Beklagten pflichtversichert, im Jahr 2017 als Beschäftigte in den Kindergärten N, seit dem 30. November 2019 in der Krankenversicherung der Rentner. Die Klägerin bezog ab dem 20. November 2015 bis zum 22. April 2016 Krankengeld von der Beklagten. Der Krankengeldbewilligung vom 30. November 2015 war ein voradressierter Auszahlschein für das Krankengeld beigefügt. Der Auszahlschein und ein Fragebogen trugen jeweils die Adresse „BARMER GEK 42267 Wuppertal“. Bezugnehmend auf eine Arbeitsunfähigkeit seit dem 9. Juni 2016 erbat die Beklagte von der Klägerin mit Schreiben vom 16. Juni 2016 Auskunft, worauf die Erkrankung zurückzuführen sei und übersandte dazu einen Fragebogen mit der Bitte um Rücksendung oder Einreichung auf der Geschäftsstelle. Die Klägerin versandte ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch für den Zeitraum ab November 2015 regelmäßig an die Geschäftsstelle „Bitterfelder Straße 13, 12681 Berlin“. Diese Geschäftsstelle der Beklagten war seit Juni 2015 geschlossen. Die Beklagte hatte für zwei Jahre einen Nachsendeauftrag für diese Geschäftsstelle eingerichtet.
Die Klägerin erkrankte am 6. September 2017 arbeitsunfähig (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 6. September 2017). Sie bezog bis zum 17. Oktober 2017 Entgeltfortzahlung.
Mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 5. Oktober 2017 stellte der behandelnde Arzt M Arbeitsunfähigkeit für die Klägerin für die Zeit bis zum 20. Oktober 2017 fest. Seine folgende Bescheinigungen vom 19. Oktober 2017 und vom 6. November 2017 attestierten der Klägerin weiter arbeitsunfähig bis zum 13. bzw. 17. November 2017 zu sein. Die Klägerin übersandte auch diese Bescheinigungen an die Adresse der Geschäftsstelle „Bitterfelder Straße 13, 12681 Berlin“.
Die Klägerin teilte der Beklagten am 6. November 2017 telefonisch mit, dass sie ab dem 6. September 2017 arbeitsunfähig sei und fragte nach der Krankengeldzahlung. Sie habe die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jeweils an die Filiale der Beklagten in der Bitterfelder Straße 13 in Berlin per Post geschickt. Auf den Hinweis der Beklagten, dass sie keine Bescheinigungen erhalten habe, reichte die Klägerin Doppel der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum vom 19. Oktober 2017 bis zum 13. November 2017 am 13. November 2013 bei der Beklagten ein.
Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 13. November 2017 mit, der Krankengeldanspruch ruhe vom 18. Oktober 2017 bis zum 5. November 2017, dem Tag vor der telefonischen Bek...