Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflicht des Grundsicherungsträgers zur Ermessensausübung bei der Aufforderung des Leistungsberechtigten zur Rentenantragstellung
Orientierungssatz
1. Nach § 5 Abs. 3 S. 1 SGB 2 können die Leistungsträger, wenn Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellen, selbst den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen. Bei der Aufforderung zur Rentenantragstellung handelt es sich um einen Verwaltungsakt i. S. von § 31 S. 1 SGB 10, vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2011 - B 14 AS 138/11.
2. Ob der Leistungsträger einen Antrag stellt, steht in seinem Ermessen. Bereits die Aufforderung zur Antragstellung bedarf einer Ermessensentscheidung. Deshalb muss der Leistungsträger seine Gründe für die Verpflichtung zur Antragstellung bereits in seinem Aufforderungsschreiben darlegen. Bei der Ermessensausübung sind die voraussichtliche Dauer bzw. Höhe des Leistungsbezugs, absehbarer Einkommenszufluss oder dauerhafte Krankheit zu berücksichtigen.
3. Enthält das Aufforderungsschreiben keine Ausführungen, die erkennen lassen, dass der Leistungsträger die Verpflichtung zur Ausübung des Ermessens erfüllt, so liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor. Dies hat die Verpflichtung des Leistungsträgers zur Folge, den von ihm gestellten Leistungsantrag zurückzunehmen.
Normenkette
SGB II § 5 Abs. 3 S. 1, § 39 Nr. 3; SGB X § 31 S. 1, § 35 Abs. 1 S. 3; SGG § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 86a Abs. 2 Nr. 4
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 07. August 2013 abgeändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 19. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2013 wird angeordnet. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den mit Schreiben vom 24. April 2013 bei der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg gestellten Rentenantrag zurückzunehmen.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen.
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 07. August 2013, mit der sie beantragt, die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen S 41 AS 3018/13 anhängigen Klage gegen den Bescheid vom 19. März 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2013 anzuordnen, ist begründet.
Der Antragsgegner bewilligte der 1950 geborenen Antragstellerin, die seit Januar 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bezieht, letztmals mit Bescheid vom 06. Mai 2013 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12. Juni 2013 für die Zeit vom 01. Juli 2013 bis zum 31. August 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 819,60 Euro für den Monat Juli und 706,70 Euro für den Monat August. Mit Bescheid vom 19. März 2013 hatte der Antragsgegner die Antragstellerin bereits aufgefordert, Altersrente umgehend nach Zugang dieses Schreibens bei der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg zu beantragen. Sie sei verpflichtet, einen Antrag bei ihrem zuständigen Rentenversicherungsträger zu stellen, wenn sie eine geminderte Altersrente (d.h. mit Abschlägen) beziehen könne und das 63. Lebensjahr vollendet habe. Aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung, vorrangige Leistungen in Anspruch zu nehmen, sei er, der Antragsgegner, berechtigt, den Antrag ersatzweise für die Antragstellerin zu stellen, wenn ihre Antragstellung nicht umgehend erfolge (§ 5 Abs. 3 SGB II). Rentenauskünfte vom 22. April 2013 ergaben, dass eine Altersrente für Frauen ohne Abzug des Eigenanteils für Kranken- und Pflegeversicherung bei einem Rentenbeginn am 01. Juni 2013 638,83 Euro und am 01. Juni 2015 (unter Zugrundelegung des derzeit aktuellen Rentenwerts) 684,75 Euro betragen würde. Die Antragstellerin widersprach der Aufforderung zur Rentenantragstellung, da sie mit der Rente weniger bekomme, als sie jetzt habe. Daraufhin stellte der Antragsgegner mit Schreiben vom 24. April 2013 den Rentenantrag und meldete seinen Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) an. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2013 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück. Am 27. Juni 2013 ist bei dem Sozialgericht der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eingegangen, den die Antragstellerin im Wesentlichen damit begründet hat, eine Rentenantragstellung zum jetzigen Zeitpunkt würde dazu führen, dass sie dauerhaft auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch angewiesen sein werde. Außerdem habe der Antragsgegner keinerlei Ermessenserwägungen angestellt und darüber hinaus auch den Sachverhalt im Hinblick auf die Folgen für sie nicht näher aufgeklärt und geprüft. Der Antragsgegner hat geltend gemacht, die Aufforderung zur Rentenantragstellung sei rechtmäßig. Ausnahmen, von der Aufforderung abzusehen, lägen nicht vor. Nur der Bestandsschutz nach § 65 Abs. 4 SGB II oder die im Widerspruchsbescheid genannten Tatb...