Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für ausländische Staatsangehörige bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auf Unionsbürger. Sozialhilfe. kein Leistungsausschluss wegen einer dem Grunde nach bestehenden Leistungsberechtigung nach dem SGB 2. keine Anwendbarkeit auf Staatsangehörige der Vertragsstaaten des EuFürsAbk
Leitsatz (amtlich)
Europäisches Fürsorgeabkommen und EGV 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit.
Orientierungssatz
1. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen auch für Unionsbürger zu bejahen, solange noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ob diese Regelung mit den Vorschriften des europäischen Unionsrechts vereinbar ist und ob der von der Bundesrepublik Deutschland am 19.12.2011 erklärte Vorbehalt zum EuFürsAbk wirksam ist.
2. Einem Anspruch auf Sozialhilfe steht nicht die Regelung des § 21 S 1 SGB 12 entgegen, wonach Personen, die nach dem SGB 2 als Erwerbsfähige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Denn wer nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen ist, ist gerade nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt.
3. Einem Anspruch auf Sozialhilfe steht auch nicht entgegen, dass nach § 23 Abs 3 S 1 SGB 12 Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben. Diese Regelung ist auf Ausländer, die vom Schutzbereich des EuFürsAbk erfasst werden, nicht anzuwenden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 13. April 2012 geändert. Das beigeladene Land wird verpflichtet, für die Monate Mai und Juni 2012 Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von jeweils 74,80 (vierundsiebzig 80/100) Euro monatlich sowie - gleichfalls vorläufig - für die Zeit ab dem 1. Juli 2012 bis zu einer Entscheidung des Sozialgerichts Berlin in der Hauptsache (S 53 AS 8520/12), längstens jedoch bis zum 30. September 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 374,00 (dreihundertvierundsiebzig) Euro und Kosten der Unterkunft/Heizung von monatlich 305,95 (dreihundertfünf 95/100) Euro, sofern diese tatsächlich anfallen, zu zahlen.
Die Beschwerde des Antragsgegners wird, soweit das Sozialgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 31. März 2012 gegen den Aufhebungsbescheid vom 28. März 2012 und die Aufhebung der Vollziehung angeordnet hat, mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird.
Die Beschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.
Das beigeladene Land hat dem Antragsteller vier Fünftel, der Antragsgegner ein Fünftel der ihm entstandenen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Der Antrag des Antragstellers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und den Rechtsanwalt M W beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Der 1974 geborene Antragsteller, der die spanische Staatsangehörigkeit besitzt, hält sich nach seinen Angaben seit Mai 2009 in B auf; am 19. Mai 2009 meldete er der Meldebehörde seinen Einzug in eine im Bezirk F-K gelegene Wohnung. Ab dem 17. August 2009 war der Antragsteller in einer Gaststätte beschäftigt. Am 17. Mai 2011 meldete er den Einzug in eine andere - gleichfalls im Bezirk F-K gelegene - Wohnung. Seit dem 1. März 2012 lebt er zur Untermiete in einem ihm zunächst befristet bis zum “1.05.2012„ überlassenen Zimmer in einer Wohnung ebenfalls im Bezirk F-K.
Am 27. Mai 2011 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) zu gewähren. Dabei erklärte er, dass er sich seit dem 15. April 2011 in Deutschland aufhalte. Seinen Lebensunterhalt habe er bislang durch Gelegenheitsarbeiten als Aktmodell bestritten, worüber er keine Nachweise habe. Er wohne derzeit mietfrei, da er seit dem 26. Mai 2011 wohnungslos sei.
Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller daraufhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2011 in Höhe von 364 Euro monatlich (Bescheid vom 31. Mai 2011) sowie - nach dem Einzug in eine für die Zeit vom 1. September bis 31. Oktober 2011 untergemietete Wohnung - ab dem 1. September bis zum 31. Oktober 2011 zusätzlich Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 341,72 Euro monatlich (Bescheid vom 16. September 2011).
Mit Bescheid vom 11. Oktober 2011 (in der Fassung des Änderungsbescheids vom 26. November 2011) bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller sodann “bis zur Klärung (seines) tatsächlichen Aufenthaltes„ vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ...