Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Aufhebung der Aussetzung einer Vollstreckung
Orientierungssatz
1. Das Gericht kann die erfolgte Aussetzung einer Vollstreckung trotz ihrer Unanfechtbarkeit nach § 199 Abs. 2 S. 3 SGG aufheben, wenn eine Änderung der Sach- und Rechtslage durch den Antragsteller geltend gemacht wird. Die Vorschrift dient dazu, eine gerichtliche Entscheidung einer seit ihrem Erlass veränderten Situation anzupassen.
2. Bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung handelt es sich um eine Ermessensentscheidung. Eine Aussetzung der Vollstreckung kommt u. a. bei geänderter Rechtsprechung des BSG bzw. dann in Betracht, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bringen würde.
3. Weil das Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG ein unselbständiges Zwischen- und Nebenverfahren im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens darstellt, hat eine Kostenentscheidung nicht zu ergehen.
Tenor
Der Antrag auf Aufhebung der Aussetzung der Vollstreckung durch Beschluss vom 15. August 2014 wird abgelehnt.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 15. August 2014 hat der Senat auf Antrag der Beklagten die Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. Dezember 2012 bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz insgesamt ausgesetzt.
Mit Schriftsatz vom 30. August 2014 hat die Klägerin die Aufhebung dieses Beschlusses und die Fortsetzung der Umsetzung der Vollstreckung aus dem Urteil des Sozialgerichts beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass das Ergebnis zweier Revisionsverfahren, auf die in dem Beschluss Bezug genommen worden ist, nur in Form von Terminsberichten vorläge. Im Übrigen seien diese Fälle nicht mit dem vorliegenden Verfahren vergleichbar. Zudem hat die Klägerin Bezug genommen auf einen Beschluss des Vorsitzenden des 16. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (L 16 R 123/13), in dem der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung mit der Begründung abgelehnt worden ist, bei der Vollstreckung im sozialgerichtlichen Verfahren seien die vollstreckungsrechtlichen Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) und damit auch die Vorschrift des § 719 Abs. 1 i.V.m. § 707 Abs. 1 ZPO zwingend zu beachten, wonach die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung nur zulässig sei, wenn glaubhaft gemacht werde, dass die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde.
II.
Der Antrag der Klägerin ist unzulässig. Zwar kann der Vorsitzende die durch ihn erfolgte Aussetzung der Vollstreckung entsprechend § 199 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), trotz ihrer Unanfechtbarkeit, jederzeit aufheben, dies setzt jedoch voraus, dass jedenfalls eine Änderung der Sach- und Rechtslage durch den Antragsteller geltend gemacht wird. Dies ist hier nicht der Fall.
§ 199 Abs. 2 Satz 3 SGG dient dazu, eine gerichtliche Entscheidung einer seit ihrem Erlass veränderten Situation anzupassen. Nur in diesen Fällen sprechen Belange der materiellen Einzelfallgerechtigkeit und inhaltlichen Richtigkeit dafür, den Vorrang der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes in die ergangene Entscheidung zu durchbrechen (vgl. zum Änderungsantrag nach § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG: Meßling in Hennig, SGG, § 86b, Rn 105; Lowe in Hintz/Lowe, SGG, § 86b Rn. 81; vgl. zu § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO: OVG Hamburg, Beschluss vom 3.2.1995 - Bs VII 2/95; offen gelassen zu § 80 Abs. 6 VwGO a.F.: BVerwG Beschluss vom 25.4.1985 - 4 C 13/85; anderer Ansicht Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. § 199 Rn. 8c). Die Klägerin hat mit ihrem Antrag jedoch ausschließlich eine andere rechtliche Wertung geltend gemacht.
Selbst wenn man den Antrag der Klägerin als zulässig betrachten würde, hätte er jedoch keinen Erfolg. Mängel der Ermessensentscheidung im Rahmen der Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 SGG (vgl. dazu Leitherer a.a.O., § 199 Rn. 8) sind nicht ersichtlich, insbesondere setzt eine entsprechende Ermessensentscheidung nicht voraus, dass ausschließlich Entscheidungen berücksichtigt werden, die in vollständiger Form veröffentlicht worden sind. Auch die Tatsache, dass die Klägerin der Auffassung ist, dass die Entscheidungen, auf die in dem Beschluss Bezug genommen worden ist, mit ihrem Fall nicht vergleichbar seien, führt zu keiner anderen Betrachtung. Die in Bezug gesetzten Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) beantworten die hier im Rechtsstreit zugrunde liegenden Rechtsfragen im Wesentlichen. Die von der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 16. Juli 2014 genannten tatsächlichen Abweichungen ändern daran nichts.
Eine Änderung des Beschlusses wäre auch in Bezug auf die von der Klägern zu den Akten gereichte Entscheidung des Vorsitzenden des 16. Senats (L 16 R 123/13) vom 4. August 2014 nicht geboten. Dieser Beschluss beruht auf der Rechtsauffassung des 4. Senats des Bundessozialgerichts in seinem Beschluss vom 6. August 1999 (B 4 RA 25/98 B, SozR 3-1500 § 199 Nr. 1), nach der es sich bei der Entscheidung nach § 199 Abs. 2 ...