Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Anordnung. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Dringlichkeit. maßgeblicher Zeitpunkt
Orientierungssatz
Ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für einen - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts - zurückliegenden Zeitraum ist nur dann ausnahmsweise gegeben, wenn andernfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden könnte.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. März 2007 aufgehoben.
Kosten dieses Beschwerdeverfahrens und des vorangegangenen Abhilfeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 8. März 2007 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat dem Antragsteller insoweit zu Unrecht einstweiligen Rechtsschutz gewährt. Der Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm über den von dem Antragsgegner nicht angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 2007 hinaus auch für den Zeitraum vom 14. Dezember 2006 bis zum 31. Januar 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren, kann keinen Erfolg haben.
Soweit der Antragsteller Leistungen für Januar 2007 begehrt, fehlt es an einem nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendigen Anordnungsgrund. Es besteht insoweit keine besondere Dringlichkeit, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich machen würde.
In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet. Dies folgt daraus, dass in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten ist, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, S. 1236 und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.
Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Absatz 4 GG in besonderen Fällen ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume verlangen kann, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen.
An diesen Grundsätzen gemessen bestand bereits im Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung des Sozialgerichts und erst recht nicht im Zeitpunkt der Abhilfeentscheidung eine besondere Dringlichkeit, die den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung für Januar 2007 gerechtfertigt hätte. Der Antragsteller hat auch derartige Gründe nicht geltend gemacht. Sie sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Dies bedeutet, dass insoweit effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren erlangt und dem Antragsteller ein Zuwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.
Soweit der Antragsteller mit seinem Rechtsschutzgesuch Leistungen für die Zeit vom 14. Dezember 2006 bis zum 31. Dezember 2006 begehrt, fehlte es jedenfalls im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis. Dieses ist nur dann gegeben, wenn der Rechtsschutzsuchende auf den einstweiligen Rechtsschutz angewiesen ist. Daran fehlt es, wenn er gerichtlichen Rechtsschutz ander...