Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerlegung der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a SGB 2, ALG 2. Bedürftigkeit. Kosten der Unterkunft. Getrenntleben. Eigentumsförderung. Härteausgleichsvorschriften
Orientierungssatz
1. Hilfebedürftigkeit i. S. von § 9 SGB 2 besteht, wenn der Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln, weder durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, noch aus dem Einkommen oder Vermögen gesichert werden kann und die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen geleistet wird.
2. Das Einkommen des Ehegatten ist dem Hilfebedürftigen anzurechnen, solange er nicht glaubhaft macht, dass ein dauerndes Getrenntleben i. S. des § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB 2 vorliegt. Das ist der Fall, wenn die Eheleute steuerrechtlich die Vergünstigungen für nicht getrennt lebende Eheleute in Anspruch nehmen und eine Vermischung der Einnahmen weiterhin stattfindet.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. März 2007 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern zu 1) bis 2) und 4) bis 7) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für Juni 2007 in Höhe von 651,37 Euro und für Juli 2007 in Höhe von 239,47 Euro zu gewähren. Die Beschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern zu 1) bis 2) und 4) bis 7) ihre außergerichtlichen Kosten zu einem Sechstel zu erstatten, außergerichtliche Kosten im Übrigen sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Die Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der Antragsteller zu 2) bis 7). Daneben hat sie ein weiteres Kind, den am 20. März 1985 geborenen T S. Der Ehemann der Antragstellerin zu 1) ist der Vater dieses Kindes und der Antragsteller zu 2) bis 4). Die Antragstellerin zu 1), ihre Kinder und ihr Ehemann sind erheblich hörbehindert und anerkannt schwerbehindert. Soweit sie volljährig sind, erhalten sie Gehörlosengeld in Höhe von jeweils 117,- Euro monatlich, für die minderjährigen Antragsteller zu 5) bis 7) wird derselbe Betrag jeweils als Pflegegeld gezahlt.
Die Antragstellerin zu 1) lebt in einem Haus, das sie im Jahre 1989 zusammen mit ihrem Ehemann gekauft hat und für das noch Kreditverbindlichkeiten bestehen. Ihr Ehemann wohnt in demselben Haus, lebt allerdings (nach Angaben der Antragsteller) seit Februar 2006 getrennt von der Antragstellerin zu 1) und benutzt nur die im Keller gelegenen Räume. Den (für das Jahr 2007 berechneten) monatlichen Kreditverbindlichkeiten in Höhe von 1.896,73 Euro stehen Zuwendungen der Ibank B gemäß den Härteausgleichsvorschriften in Höhe von monatlich 1.136,61 Euro gegenüber.
Die Antragstellerin zu 1) bezieht aus einer freiberuflichen Tätigkeit als Aerobictrainerin ein monatliches Honorar in Höhe von 850,- bis 900,- Euro brutto. Seit August 2007 übt sie auch eine Beschäftigung als Zimmermädchen aus, hat aber nach ihren Angaben bisher noch keine Lohnzahlungen erhalten. Ihr Ehemann hat aus einer abhängigen Beschäftigung bis Mai 2007 Arbeitslohn in Höhe von 1.400 Euro monatlich netto bezogen. Seit dem 18. Juli 2007 erhält er Krankengeld in Höhe von 900,- Euro monatlich.
T S hat eine eigene Wohnung in F. Die Antragstellerin zu 2) wohnt bei der Antragstellerin zu 1), arbeitet in einer Behindertenwerkstatt und erhält monatliche Sozialleistungen in Höhe von 94,- Euro. Der Antragsteller zu 3) absolviert eine Ausbildung in N, er hält sich nur an den Wochenenden, in den Ferien oder bei Krankheit bei der Antragstellerin zu 1) auf. Der Antragsteller zu 4) absolviert ebenfalls eine Ausbildung. Der Berufsschulunterricht wird als Blockveranstaltung in E erteilt, und der Antragsteller zu 4) ist währenddessen in einem Internat untergebracht. Während der Phasen der betrieblichen Ausbildung lebt er dagegen bei der Antragstellerin zu 1) und erhält von der Bundesagentur für Arbeit Ausbildungsgeld in Höhe von 282,- Euro monatlich. Die minderjährigen Antragsteller zu 5) bis 7) besuchen die Schule. Unterhalt wird nur für die Antragstellerin zu 5) gezahlt, und zwar bis Juni 2007 in Höhe von 291,- Euro und seitdem in Höhe von 288,- Euro. Das für die Antragsteller zu 2) bis 7) gewährte Kindergeld in Höhe von 999,- Euro monatlich wird an den Ehemann der Antragstellerin zu 1) ausgezahlt.
Den am 6. Juli 2006 für die Antragsteller zu 1) bis 7) und T S gestellten Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) lehnte der Antragsgegner durch Bescheid vom 2. Oktober 2006 ab. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen bestehe keine Hilfebedürftigkeit. Dagegen haben die Antragsteller Widerspruch eingelegt.
Mit dem am 11. Januar 2007 beim Sozialgericht Berlin gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehren die Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes sowie der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung fortlaufend ab Juli...