Entscheidungsstichwort (Thema)

Versagung von einstweiligem Rechtsschutz bei fehlendem Rechtsschutzbedürfnis. Eilrechtsschutz bei Kündigung eines Versorgungsvertrags. Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis bei sofort vollziehbarer heimaufsichtsrechtlicher Untersagungsverfügung. Streitwertfestsetzung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Kündigung eines Versorgungsvertrags nach § 72 SGB XI gerichteten Klage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis solange eine sofort vollziehbare heimaufsichtsrechtliche Untersagungsverfügung existiert und in der Pflegeeinrichtung keine Bewohner leben. In diesem Fall kann die rechtliche und/oder wirtschaftliche Stellung des Trägers der Pflegeeinrichtung mit dem Antragsbegehren nicht verbessert werden.

2. Ist das Fortbestehen eines Versorgungsvertrags auf unbestimmte Zeit streitig, ist auch im gerichtlichen Eilverfahren der Streitwert auf das dreifache des Jahresumsatzes zu bemessen.

 

Orientierungssatz

1. Nach § 86 b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.

2. Erbringt der Träger einer vollstationären Pflegeeinrichtung nach einer heimaufsichtsrechtlichen Untersagungsverfügung tatsächlich keine Leistungen, weil in der Pflegeeinrichtung keine Menschen mehr leben, so fehlt es an einem Anknüpfungspunkt für die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer gegen die Kündigung des Versorgungsvertrags gerichteten Klage. Mit einem solchen Antragsbegehren kann die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Antragstellers nicht verbessert werden.

 

Normenkette

SGB XII § 73 Abs. 2 S. 2, § 74 Abs. 3 S. 2; SGG § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2; GKG §§ 63, 53 Abs. 2 Nr. 4, § 52 Abs. 1

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Die Festsetzung des Streitwertes bleibt einer gesonderten Entscheidung des Senats vorbehalten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die seitens der Antragsgegner ausgesprochene fristlose Kündigung eines zwischen den Beteiligten abgeschlossenen Versorgungsvertrages nach § 72 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) über die Erbringung vollstationärer Pflegeleistungen.

Seit dem 1. Dezember 2007 erbringt die Antragstellerin als Trägerin der Pflegeeinrichtung aufgrund des mit den Antragsgegnern im Einvernehmen mit dem Bezirk Oberbayern als überörtlichem Träger der Sozialhilfe abgeschlossenen Versorgungsvertrages vom 30. November 2007 und der dazu vereinbarten Ergänzungen Leistungen der vollstationären Pflege. Die Einrichtung hat 136 Pflegeheimplätze für verschiedene Personengruppen.

Mit Bescheid vom 20. Juli 2011 untersagte der Freistaat Bayern der Antragstellerin den Betrieb der Einrichtung ab Zustellung des Bescheides. Die Betriebsuntersagung beinhaltete das bereits am 24. Februar 2011 verfügte Verbot, neue Bewohner aufzunehmen. Das daraufhin von der Antragstellerin angestrengte einstweilige Rechtsschutzverfahren hatte keinen Erfolg. Nachdem das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 17. August 2011 den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Untersagungsverfügung abgelehnt und die Abwicklungsfrist zur Beendigung des Einrichtungsbetriebes auf den 30. September 2011 festgesetzt hatte, wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. September 2011 (12 CS 11.2022) die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragstellerin zurück. Dabei stützt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof - ausgehend von einer fehlenden Tendenz für den Erfolg des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Untersagungsverfügung - seine Entscheidung auf eine Folgenabwägung, in deren Rahmen er das Interesse des Freistaates Bayern an der Aufrechterhaltung der sofortigen Vollziehbarkeit der Untersagungsverfügung höher bewertete als die überwiegend wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin. Am 28. Juni 2011 seien in Gestalt des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MdK) von einem sachkundigen Dritten in einem gesetzlich vorgesehenen Prüfungsverfahren eine Vielfalt erheblicher Mängel festgestellt worden und lägen nach diesen Feststellungen ebenso Gefahren für die Gesundheit und die elementaren Lebensbedürfnisse der Heimbewohner vor. Im Rahmen der Streitwertfestsetzung ging der Bayerische Verwaltungsgerichtshof von einem Jahresgewinn der Antragstellerin von 400.000 Euro aus. In der Folge der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wurde die Einrichtung, in der zuletzt noch 25 Bewohner lebten, am 30. September 2011 vollständig geräumt.

Nachdem die Antragsgegner die Antragstellerin zunächst mit Schreiben vom 26. Juli 2011 zum beabsichtigten Er...

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