Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschließliche Entscheidungsbefugnis des erstangegangenen Rehabilitationsträgers

 

Orientierungssatz

1. Nach § 14 Abs. 2 S. 1 SGB 9 behält der erstmals befasste Rehabilitationsträger seine Zuständigkeit im Außenverhältnis zum Antragsteller auch dann weiter bei, wenn er, ohne den Antrag an den aus seiner Sicht zuständigen Rehabilitationsträger weitergeleitet zu haben, das Verwaltungsverfahren durch Erlass eines Verwaltungsaktes abschließt, und zwar auch dann, wenn dieser bindend wird.

2. Aus der Zuständigkeit eines Trägers i. S. von § 14 Abs. 1 und 2 SGB 9 folgt, dass gleichzeitig alle anderen in Betracht kommenden Träger die Entscheidungsbefugnis über die Gewährung beantragter Leistungen verlieren. Eventuell ergangene Bescheide anderer Träger sind wegen sachlicher Unzuständigkeit rechtswidrig und aufzuheben (BSG Urteil vom 24. 1. 2013, B 3 KR 5/12 R).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.12.2019; Aktenzeichen B 13 R 85/18 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. November 2016 teilweise und der Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 2010 in der Fassung des Bescheides vom 19. Januar 2011 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2011 vollständig aufgehoben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für eine selbstfinanzierte Umschulung zur Heilpraktikerin sowie die Neubescheidung ihres Antrages hierauf.

Die 1972 geborene Klägerin hat nach eigenen Angaben die Realschule und eine Berufsausbildung zur Drogistin abgeschlossen und im Anschluss hieran ein „Fachabitur Wirtschaft“ abgelegt. Zuletzt war sie von Januar 2005 bis Juni 2008 als Vertriebsangestellte im Textilhandel tätig, hierbei war sie mit der Akquise und Kundenbetreuung betreut. Nach ihrer Kündigung zum 30. Juni 2008 war sie als arbeitsuchend gemeldet.

Einen Antrag der Klägerin auf die Übernahme von Leistungen zur beruflichen Weiterbildung in Form von Kosten für eine Umschulung zur Heilpraktikerin vom 26. Mai 2008 lehnte die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit P, mit Bescheid vom 17. Juni 2008 ab, da die Klägerin über eine abgeschlossene Ausbildung verfüge und eine Umschulung nicht notwendig sei. Während des Widerspruchsverfahrens unterzeichnete die Klägerin auf Anregung der Bundesagentur für Arbeit mit Datum vom 8. September 2008 erneut einen Antrag gegenüber der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Berlin-Nord, auf die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Rehabilitation). Diesen bei ihr am 11. August 2008 eingegangenen Antrag übersandte die Bundesagentur für Arbeit am selben Tag „zuständigkeitshalber“ an die Beklagte, wo er am 19. August 2008 einging. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 2008 wies die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit B N den Widerspruch gegen ihren Bescheid vom 17. Juni 2008 zurück. Denn die Klägerin verfüge über eine abgeschlossene Berufsausbildung und jahrelange Berufserfahrung im Bereich Außendienst/Vertrieb, es bestehe auch eine hohe Nachfrage an Arbeitskräften in diesem Bereich. Eine Umschulung in einen anderen Beruf sei daher nicht notwendig. Im anschließenden Klageverfahren S 54 AL 5373/08 wurde die Beklagte zum Verfahren beigeladen. Das Verfahren wurde am 15. Dezember 2010 seitens der Klägerin für erledigt erklärt, was seitens des Gerichts als „Rücknahme“ der Klage ausgelegt worden ist.

Mit Datum vom 8. September 2008 unterzeichnete die Klägerin ferner einen an die Beklagte gerichteten Antrag auf Leistungen zur Teilhabe zur beruflichen Rehabilitation, wobei sie ausdrücklich auf ihren bei der Agentur für Arbeit am „5. Juni 2008“ gestellten Antrag hinwies.

Einer beigefügten gutachterlichen Äußerung der Ärztin R vom 18. Juli 2008 ist zu entnehmen, dass sich die Klägerin wegen einer leichten seelischen Störung in fachärztlicher Behandlung befinde, sich im bisherigen Beruf unzufrieden und überfordert fühle und eine berufliche Umorientierung durch eine Ausbildung zur Heilpraktikerin bevorzuge. Ob hierfür eine ausreichende Belastbarkeit vorliege, solle durch eine Arbeitserprobung oder Berufsfindungsmaßnahme geklärt werden. Seitens der Klägerin wurde ein Attest des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. K vom 2. Juli 2008 beigebracht, wonach die Klägerin an einem leichten, eher subklinischen Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom im Erwachsenenalter und einer reaktiven Depression leide, es sei annähernd sicher, dass sie in ihrem jetzigen Beruf erneut erkranken würde und ein Bildungsgutschein für einen Ausbildungsberuf als Heilpraktikerin erscheine sinnvoll.

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2008 lehnte die Beklagte den Antrag „vom 19. August 2008“ ab. Denn die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei nicht erheblich gefährdet oder gemindert, vielmehr sei sie in der Lage, eine Beschäftigung als Vertriebsangestellte im Mod...

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