Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenbehandlung. beidseitige Mammareduktionsplastik. Ausschöpfung konservativer Therapiemaßnahmen

 

Orientierungssatz

Zum Anspruch einer Versicherten auf Versorgung mit einer stationär durchzuführenden beidseitigen Brustverkleinerung (Mammareduktionsplastik), wenn alle konservativen Therapiemaßnahmen bereits ausgeschöpft sind.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 15. Mai 2019 sowie der Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Mai 2011 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für eine stationär durchzuführende beidseitige Mammareduktionsplastik zu übernehmen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Versorgung der Klägerin mit einer stationär durchzuführenden beidseitigen Brustverkleinerung (Mammareduktionsplastik).

Die 1957 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie beantragte unter dem 6. Oktober 2010 die Kostenübernahme für eine operative Brustverkleinerung. Im Antrag gab sie an, dass sie seit einigen Jahren unter ständigen Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen leide. Sport sei ihr nur noch teilweise möglich. Seit den Wechseljahren ändere sich ihre BH-Größe, mittlerweile trage sie Cup-Größe 80 H. Sie sei familiär vorbelastet durch ihre Mutter. Dem Antrag fügte die Klägerin einen Arztbrief des Klinikums B vom 13. September 2010 zu einer Mammasprechstunde bei dem Facharzt für Chirurgie Dr. K, aus dem die Diagnose einer ausgeprägten Mamahypertrophie beidseits mit einer medizinischen Indikation zur Durchführung einer Mammareduktionsplastik beidseits wegen Beschwerden im Bereich des Nackens und der Schultern hervorging, sowie einen Arztbrief des Orthopäden Dr. F vom 15. November 2010 mit den Diagnosen eines gesicherten HWS-Syndroms, eines Lumbago und einer Makromastie bei.

Die Beklagte veranlasste ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit ambulanter Untersuchung der Klägerin. Nach dem Gutachten vom 1. Dezember 2010, erstellt von Dipl.-Med. L, seien die medizinischen Voraussetzungen für die Durchführung einer Mammareduktionsplastik nicht gegeben. Das Gewicht der Brüste wurde nach der Körpergewichtsdifferenzmethode mit jeweils 1450 g (auf der elektrischen Waage) bestimmt. Der BMI betrage 28,4 kg/m². Es bestünden eine mäßige Mammahyperplasie beidseits ohne Krankheitswert und eine rezidivierende schmerzhafte Verspannung der Schulter- und Nackenmuskulatur. Empfohlen werde eine intensive und regelmäßige orthopädische Behandlung. Psychische Beschwerden oder eine Entstellung lägen durch die Mammahyperplasie nicht vor.

Mit Bescheid vom 8. Dezember 2010 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine Mammareduktionsplastik ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass lediglich dann, wenn für einen operativen Eingriff eine medizinische Notwendigkeit vorliege, im Einzelfall auch eine Übernahme der Kosten für eine Mammareduktionsplastik durch die Krankenkasse in Betracht kommen könne. Da die medizinischen Sachverhalte nur ärztlicherseits beurteilt werden könnten, bediene sich die Beklagte des fachkundigen Rates des MDK. Nach der Vorstellung der Klägerin beim MDK bestehe keine medizinische Indikation für den geplanten Eingriff, da die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung nicht gegeben seien.

Gegen den Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 5. Januar 2011 Widerspruch. Sie legte im Zuge des Widerspruchverfahrens ein ärztliches Attest des sie behandelnden Orthopäden Dr. A vom 19. Januar 2011 vor, wonach bei einem festgestellten chronischen lokalen cervikalen Schmerzsyndrom, einer Schwingungsveränderung sowie Blockierung der HWS und einer chronischen Muskelverspannung mit einer Mammareduktionsplastik eine Entlastung der Wirbelsäule und damit auch des Schulter-Nacken-Bereichs zu erreichen sei. Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten des MDK nach Aktenlage vom 11. April 2011, erstellt von Dipl.-Med. L, bei. Darin wurden erneut die Diagnosen einer Hypertrophie der Mammae (übergroße weibliche Brust) ohne Krankheitswert sowie eine schmerzhafte Verspannung der Schulter- und Nackenmuskulatur gestellt. Es ergäben sich keine neuen medizinischen Aspekte, die eine andere Entscheidung als im Vorgutachten rechtfertigen würden. Mit einer einmaligen Vorstellung beim Orthopäden und der Verordnung von Physiotherapie seien die zur Verfügung stehenden Therapieoptionen bei weitem nicht ausgeschöpft. In vergleichbaren Fällen seien in den Jahren vor der Durchführung einer bilateralen Mammareduktionsplastik häufig Behandlungsversuche mit dem Ziel einer statischen Entlastung der Schulter- und Nackenregion unternommen worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2011 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück...

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