Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Aufhebung eines Witwenrentenbescheides wegen des Bezugs von Verletztenrente
Orientierungssatz
1. Der Bezug von Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist nach § 97 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB 6 i. V. m. § 18 a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB 4 als Erwerbsersatzeinkommen auf die Witwenrente anzurechnen, vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2012 - B 13 R 15/11 R.
2. War der Rentenversicherungsträger bei Erlass des Witwenrentenbescheides über den Bezug von Verletztenrente unterrichtet, so ist eine rückwirkende Aufhebung bzw. Abänderung des Witwenrentenbescheides nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB 10 ausgeschlossen, wenn sich die Witwe auf Vertrauensschutz berufen kann. Die hierzu erforderlichen subjektiven Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB 10 liegen nur dann vor, wenn der Rentenempfänger einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und nicht dasjenige beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss, vgl. BSG, Urteil vom 08. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R.
3. Der Adressat eines Verwaltungsaktes ist gehalten, einen ihm günstigen Bewilligungsbescheid zu lesen. Grobe Unkenntnis eines fehlerhaften begünstigenden Verwaltungsaktes setzt voraus, dass die Fehlerhaftigkeit ohne Weiteres für den Betroffenen erkennbar ist. Hat der Rentenversicherungsträger in Kenntnis des Witwenrentenbezugs in einem vorausgegangenen Bescheid auf die Anrechnung der Witwenrente verzichtet und die Prüfung einer zukünftigen Anrechnung nicht erklärt, so darf die Witwe davon ausgehen, dass der Versicherungsträger die Anrechnung der Witwenrente nicht für zulässig hält. In einem solchen Fall ist eine rückwirkende Aufhebung bzw. Abänderung des Witwenrentenbescheides ausgeschlossen.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 30. März 2009 und der Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2007 aufgehoben. Die Beklagte wird unter Änderung der Bescheide vom 10. Januar 2008, 06. Juni 2008 und 24. Mai 2011 verurteilt, der Klägerin Witwenrente ohne Anrechnung der Verletztenrente zu bewilligen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus dem erst- und zweitinstanzlichen Verfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Anrechnung von Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf ihre große Witwenrente.
Die 1940 geborene Klägerin ist die Witwe des 1940 geborenen und 1984 verstorbenen Versicherten K S. Vom 01. Dezember 1984 bis zum 30. November 1986 bezog sie Übergangs-Hinterbliebenenrente in der DDR.
Mit Bescheid vom 10. Januar 2002 gewährte die Beklagte der Klägerin auf deren Antrag vom 29. Dezember 2000 rückwirkend ab dem 01. Dezember 1999 große Witwenrente unter Anrechnung ihres Einkommens aus abhängiger Beschäftigung, wobei im Hinblick auf die Prüfung von AAÜG-Zeiten der Bescheid “vorläufig„ war.
Unter anderem mit Bescheiden vom 05. Juni 2002, 04. September 2002 (hier endgültige Rentenfeststellung wegen der AAÜG-Zeiten) und 24. Mai 2003 wurde die Rente jeweils neu festgestellt. Unter anderem im Bescheid vom 24. Mai 2003 hieß es auf Seite 1: “Die im früheren Rentenbescheid genannten Mitteilungspflichten gelten nach wie vor. Deshalb sind uns Umstände, die den Leistungsanspruch oder die Höhe der Leistung beeinflussen können, umgehend mitzuteilen. Wir behalten uns vor, überzahlte Beträge zurückzufordern.„ Auf Seite 2 wurde ferner ausgeführt: “Ferner ist auch der Bezug, das Hinzutreten, die Veränderung oder Abfindung von Hinterbliebenenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung (…) unverzüglich mitzuteilen. Darüber hinaus besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns auch die Beantragung einer Rentenleistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder die Einleitung eines Rentenverfahrens durch den Unfallversicherungsträger unverzüglich mitzuteilen.„ Auf Seite 3 wurde ergänzt: “Wir behalten uns vor, überzahlte Beträge zurückzufordern, wenn der Mitteilungspflicht nicht genügt werden sollte.„
Ab dem 03. März 2003 war die Klägerin wegen eines Arbeitsunfalls arbeitsunfähig und bezog ab dem 16. April 2003 Verletztengeld von der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), woraufhin die Beklagte mit Bescheid vom 18. September 2003 den Bescheid vom 10. Januar 2002 gemäß § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung vom 16. April 2003 teilweise aufhob und die Witwenrente neu berechnete. Die Klägerin erhielt eine Nachzahlung i. H. v. 148,92 Euro. Dieser Bescheid enthielt dieselben Hinweise auf Mitteilungspflichten wie der Bescheid vom 24. Mai 2003.
Am 28. Dezember 2004 beantragte die Klägerin die Überprüfung ihrer Witwenrente, da sie ab dem 03. Januar 2005 kein Verletztengeld mehr erhalte. Eine Altersrente werde voraussichtlich im Januar 2005 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA; jetzt: Deutsche Rentenversicherung ≪DRV≫ Bund) beantragt. Der Besc...