Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. haftungsausfüllende Kausalität. Posttraumatische Belastungsstörung. rezidivierende depressive Störung. Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung. MdE-Bewertung. 40 vH. Zugführer

 

Orientierungssatz

Zur Anerkennung einer rezidivierenden depressiven Störung mit einer gegenwärtig mittelgradigen bis schweren Episode als weitere Unfallfolge (hier: psychische Störungen bei einem Zugführer nach Überfall durch Fahrgäste), wenn weder vorbestehende noch konkurrierende oder später einsetzende unfallfremde Ursachen nachgewiesen sind, und zur Feststellung der MdE in Höhe von 40 vH.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Juni 2007 wird aufgehoben. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 12. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2004 verurteilt, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige bis schwere Episode als weitere Arbeitsunfallfolge anzuerkennen und dem Kläger aufgrund des Arbeitsunfalls vom 25. August 2002 ab 23. Februar 2004 eine Verletztenrente nach einer MdE von 40 v.H. zu gewähren und wegen der anerkannten psychiatrischen Störung Heilbehandlung zu leisten.

Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 25. August 2002.

Der 1950 geborene Kläger war seit Dezember 1993 bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) als Zugfahrer beschäftigt. Am 25. August 2002 wechselte er in dem Tunnel nach dem Endbahnhof “Alt-Tegel„ den Führerstand, um die Fahrt anschließend in entgegengesetzter Richtung wieder fortzusetzen. Als er dabei am Zug vorbeiging, bemerkte er, dass drei Fahrgäste versäumt hatten, am Endbahnhof “Alt-Tegel„ auszusteigen. Nachdem er seine Fahrt wieder aufgenommen hatte und erneut im Bahnhof “Alt-Tegel„ hielt, kam der weibliche Fahrgast zu ihm an das Führerhaus und zog ihn an der Dienstkrawatte. Er wehrte diesen Angriff ab. Daraufhin kamen die beiden männlichen Begleiter der Frau ebenfalls zu ihm und nahmen ihm gegenüber eine drohende Haltung ein, die sie unter anderem mit der Aussage: “mach die Tür auf, sonst bringe ich dich um„ untermauerten. Zudem traten und sprangen sie gegen die Fahrertür. Der Kläger schaffte es, diese etwa 20 Minuten lang bis zum Eintreffen der Polizei geschlossen zu halten. Die drei Fahrgäste blieben die ganze Zeit vor seinem Fahrerhaus.

Am 26. August 2002 begab sich der Kläger zum Chirurgen und Durchgangsarzt Dr. H, der ein ängstliches, angespanntes Auftreten sowie eine spürbare Enttäuschung über das späte Eintreffen der Hilfe und die Erkenntnis, auf sich selbst gestellt zu sein, feststellte und die Diagnose einer akuten Belastungsreaktion stellte. Er überwies den Kläger an einen Psychologen beziehungsweise Psychotherapeuten. Die Beklagte zog Behandlungsunterlagen der den Kläger behandelnden Dipl.-Psychologin K und des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. T bei und veranlasste eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik für psychosomatische Medizin Sch vom 8. Oktober 2002 bis zum 10. Dezember 2002.

Die Klinik Sch teilte mit Bericht vom 27. November 2002 unter anderem mit, für eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit sei weiterhin eine Konfrontation in vivo mit der angstauslösenden beruflichen Situation notwendig. Diese Konfrontationsbehandlung werde im ambulanten Bereich durch die behandelnde Psychotherapeutin durchgeführt. Aus der stationären Rehabilitationsmaßnahme wurde der Kläger am 10. Dezember 2002 weiterhin arbeitsunfähig entlassen. Es wurden Leerfahrten mit Fahrlehrer für eine Woche empfohlen. Bei Bedarf solle eine vierwöchige Belastungserprobung anschließend stattfinden. Weiter wurde mitgeteilt, am Ende des Therapieaufenthaltes sei die posttraumatische Symptomatik weitestgehend reduziert gewesen. Geblieben sei eine leichte Angstsymptomatik bezüglich seiner Arbeitsplatzsituation. Der Kläger habe befürchtet, erneut in eine ähnliche Situation am Arbeitsplatz geraten zu können. Die depressive Symptomatik sei abgeklungen. Er sei medikamentenabstinent gewesen.

Nachdem der Kläger am 3. Januar 2003 eine Probefahrt absolviert hatte wurde in der Folgezeit ab 15. Januar 2003 eine Belastungserprobung zunächst für zwei Wochen durchgeführt, die mehrmals verlängert wurde, letztlich aber nicht zur Wiedereingliederung des Klägers in das Berufsleben geführt hat. Die den Kläger behandelnde Diplom-Psychologin K teilte unter anderem in Folgeberichten vom 4. März 2003, 14. April 2003 und 12. Juni 2003 mit, es sei bei dem Kläger ab Mitte Januar 2003 zu einer starken depressiven Nachschwankung, einem normalen Symptom bei der Traumaverarbeitung, gekommen. Sie empfehle eine erneute stationäre Rehabilitationsmaßnahme. Dieser Einschätzung schloss sich auch der Neurologe und Psychiater Dr. H in seinem Gutachten vom 23. Juni 2003 an. Die Beklagte vera...

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