Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. unangemessene Verfahrensdauer. durchschnittliche Verfahrenslaufzeit. Verlängerung wegen Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Gestaltungsspielraum des Richters. Terminierung. Zwangsmittel bei Gutachten nach § 109 SGG. Passivlegitimation des beklagten Landes. sozialgerichtliches Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Die angemessene Dauer des Ausgangsverfahrens kann nicht an der durchschnittlichen Verfahrensdauer gemessen werden. Sie richtet sich allein nach dem Einzelfall. Besonderheiten - hier Entwicklung der Rechtsprechung zur BK 2108 - können dazu führen, dass auch ein letztlich über 13 Jahre anhängiges Verfahren nicht als überlang anzusehen ist.
Orientierungssatz
1. Es muss - gerade unter Berücksichtigung der richterlichen Unabhängigkeit - jedem Vorsitzenden zugebilligt werden, im Rahmen des ihm zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielraums die Verhandlungstermine nach eigenem Ermessen zusammenzustellen.
2. Im Zusammenhang mit der Einholung von Gutachten nach § 109 SGG darf das Gericht im Interesse des Rechtsuchenden, der sich für den konkreten Sachverständigen entschieden hat, bei Mahnungen und insbesondere beim Einsatz von Zwangsmitteln Augenmaß walten lassen.
3. Maßgeblich für die Passivlegitimation eines Landes im Rahmen der Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer ist nicht zwangsläufig der Sitz des Berufungsgerichts (hier Brandenburg). Im Falle des LSG Berlin-Potsdam ist vielmehr entscheidend, dass die gemeinsamen Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg jeweils Rechtsprechungsgewalt desjenigen Bundeslandes ausüben, aus dem das Ausgangsverfahren stammt (vgl BFH vom 17.4.2013 - X K 3/12 = BFHE 240, 516 = BStBl II 2013, 547).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 26.100,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 67 U 294/99*15 sowie vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg unter den Aktenzeichen L 2 U 33/02 und L 2 U 24/09 ZVW gegen eine Berufsgenossenschaft geführten Verfahrens. Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
In den Jahren 1997 und 1998 führte der Kläger vor dem Sozial- bzw. Landessozialgericht Berlin einen Rechtsstreit gegen die Bau-BG Hannover, in dem es um die Anerkennung der Berufskrankheit nach Nr. 70 der Berufskrankheitenliste der ehemaligen DDR ging. Im Juli 1998 wies das Sozialgericht Berlin (S 69 U 857/97) die Klage ab. Seine hiergegen eingelegte Berufung (L 3 U 55/98) nahm der Kläger im August 1999 zurück.
Am 20. April 1999 erhob er - bereits damals durch seinen jetzigen Bevollmächtigten vertreten - bei dem Sozialgericht Berlin erneut Klage, nachdem die Bau-BG Hannover mit Bescheid vom 21. Dezember 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1999 die Gewährung einer Entschädigung wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung mit der Begründung abgelehnt hatte, dass für die Anerkennung u.a. langjähriges Heben oder Tragen oder langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung erforderlich seien, das Merkmal der Langjährigkeit eine Mindestbelastungszeit von 20 Jahren erfordere und diese Zeit bei dem Kläger nicht gegeben sei. Der Kläger begehrte in dem Verfahren die Gewährung einer Verletztenrente wegen berufsbedingter Wirbelsäulenerkrankung. Das Verfahren wurde zunächst unter dem Aktenzeichen S 15 U 294/99 registriert.
Unter dem 27. April 1999 bestätigte das Sozialgericht den Eingang der Klage. Am 12. Mai 1999 ging die vom Gericht erbetene Originalvollmacht ein. Nachdem am 14. Mai 1999 die Klageerwiderung bei Gericht eingetroffen war und die zwischenzeitlich zum Verfahren L 3 U 55/98 übersandten Akten am 13. August 1999 zurückgelangt waren, wurden dem Bevollmächtigten am 20. August 1999 neben der Klageerwiderung vom Kläger auszufüllende Vordrucke (Schweigepflichtentbindung etc.) übersandt. Ferner forderte der Kammervorsitzende nun seinerseits die Akten L 3 U 55/98 an. Nach deren Eingang im September 1999 wurden verschiedene Kopien gefertigt. Am 05. Oktober 1999 gelangten die vom Kläger ausgefüllten Unterlagen zu den Akten zurück. Mit am 25. Oktober 1999 eingegangenem Schreiben beantwortete der Bevollmächtigte eine Anfrage des Gerichts vom 11. Oktober 1999 bzgl. ärztlicher (ambulanter) Behandlung des Klägers aufgrund seiner Wirbelsäulenbeschwerden. Auf die richterliche Verfügung vom 28. Oktober 1999 wurde unter dem 12. November 1999 ein Befundbericht eingeholt und um Übersendung verschiedener weiterer medizinischer Unterlagen gebeten. Diese gingen zwischen dem 06. November 1999 und dem 23. März 2000 - teilweise erst auf zweifache Erinnerung des Gerichts - bei diesem ein. Mit am 20. April 2000 und 11. Mai 2000 eingegangenen Schreiben nahmen der Bevollmächtigte des Klägers und die damalige Beklagte hierzu...