Entscheidungsstichwort (Thema)

Stationäre Leistung. Gesamtverantwortung für die tägliche Lebensführung. Eingliederungshilfe. Schutz des Einrichtungsortes

 

Leitsatz (amtlich)

Der Erstattungsanspruch nach § 106 Abs 3 SGB XII ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass es sich bei den Leistungen, für die die Erstattung verlangt wird, um Leistungen der Einzelfallhilfe und damit um sogenannte "Zusammenhangskosten" handelt, dh solchen Kosten, die nicht beschränkt sind auf die konkret in der stationären Einrichtung erbrachten Leistungen. Es ist auch weiterhin, wie nach dem Recht des BSHG, von dem Grundsatz der Gesamtfallhilfe auszugehen.

 

Orientierungssatz

Zur Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 106 Abs 3 S 1 SGB 12 genügt es, dass Sozialhilfeleistungen auf dem Gebiet des örtlichen Trägers, in dem die Einrichtung liegt, erbracht werden; sie müssen nicht durch ihn erbracht werden.

 

Normenkette

SGB XII § 106 Abs. 3, § 98 Abs. 2, § 13 Abs. 2; SGB X § 104

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 3. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Potsdam, mit dem er verurteilt wurde, 6.441,60 Euro für den Zeitraum Mai 2009 bis Dezember 2009 für den Hilfefall L zu erstatten.

Der 2001 geborene Hilfeempfänger L (im Folgenden: HE) leidet laut Attest des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Dr. H vom 2. Februar 2006 an einem frühkindlichen Autismus und laut Attest der Klinik für Audiologie und Phoniatrie der C vom 10. Februar 2006 an Surditas (Taubheit) beidseits. Für ihn sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), H (Hilflosigkeit), RF (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht), und Gl (Gehörlosigkeit) festgestellt. Der HE und seine Mutter waren zunächst wohnhaft in N/Ortsteil S, im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Der HE hatte zunächst eine Integrationskindertagesstätte in P besucht. Hierfür hatte der Beklagte die Kosten übernommen.

Seit dem 1. September 2008 besuchte der HE die Schule des O in P und lebte in dessen Wohnheim. Es handelte sich um eine Schule mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt “körperliche und motorische Entwicklung„. Zuletzt mit Bescheid vom 26. November 2008 bewilligte der Beklagte dem HE hierfür Leistungen der Eingliederungshilfe.

Am 2. Oktober 2008 beantragte der HE die Bewilligung von Einzelfallhilfe.

Am 27. Januar 2009 zog der HE mit seiner Mutter nach P, also in den Zuständigkeitsbereich der Klägerin. Das Internat der O besuchte der HE in der Folge nicht mehr. Der Beklagte gewährte dem HE mit Bescheid vom 12. Februar 2009 Eingliederungshilfe in Form der Einzelfallhilfe im Umfang von zunächst 17 Stunden wöchentlich. Die Stunden reduzierten sich monatlich um eine Stunde, so dass im Juli 2009 nur noch 12 Stunden wöchentliche Schulbegleitung übernommen wurden. Da die Familie im Januar 2009 nach Potsdam gezogen sei, werde die Hilfe bis zur Übernahme der Leistungen durch die Stadt Potsdam, spätestens bis zum Schuljahresende 2008/2009, gewährt. Die Leistungen wurden erbracht durch P e. V., mit dem der Beklagte eine Leistungs-, Vergütungs- und Prüfvereinbarung gemäß § 75 Abs. 4 SGB XII geschlossen hatte. Im gleichen Bescheid (vom 12. Februar 2009) teilte der Beklagte mit, dass die vollstationäre Hilfe mit Ablauf des 30. Januar 2009 ende.

Mit Schreiben vom 14. April 2009 übersandte der Beklagte der Klägerin die Leistungsakte und bat um Übernahme der Hilfe sowie Kostenerstattung ab 27. Januar 2009.

Mit Schreiben vom 7. Mai 2009 übernahm die Klägerin den Fall, lehnte die Kostenerstattung jedoch ab, bezog sich zur Begründung auf § 106 Abs. 3 Sozialgesetzbuch/Zwölftes Buch (SGB XII) und machte für einen Zeitraum von zwei Jahren einen Erstattungsanspruch geltend.

Mit Bescheid vom 19. Juni 2009 bewilligte die Klägerin dem HE Eingliederungshilfe in Form der schulbegleitenden Einzelfallhilfe für 20 Stunden pro Schulwoche für die Zeit vom 22. Juni 2009 bis 15. Juli 2009 sowie für das Schuljahr 2009/2010 vom 31. August 2009 bis zum 7. Juli 2010. Der Stundensatz betrug 14,64 Euro. Die Einzelfallhilfe wurde weiterhin durch P e. V. erbracht.

Mit Fax-Schreiben vom 20. November 2009 erklärte der Beklagte die Übernahme der Kosten gemäß § 106 Abs. 3 SGB XII. Er bat, zu gegebener Zeit die Höhe der Erstattungskosten mit geeigneten Unterlagen mitzuteilen.

Mit Schreiben vom 30. Dezember 2013 übersandte die Klägerin dem Beklagten ihre Kostenforderung in Höhe von 20.767,72 Euro.

Mit der am 30. Dezember 2013 bei dem Sozialgericht Potsdam eingegangenen Klage hat die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die für den Hilfefall des HE im Zeitraum vom 1. Februar 2009 bis 31. Dezember 2009 entstandenen Kosten für die Leistungen der Eingl...

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