Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattung von Kosten im Vorverfahren. Anspruch auf Freistellung von der Zahlung der Rechtsanwaltsvergütung. keine Verletzung der Kostenminderungspflicht. dieselbe Angelegenheit iS § 15 Abs 2 RVG. innerer Zusammenhang

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Behörde kann einem Kostenfreistellungsanspruch eines Prozessbevollmächtigten nicht entgegenhalten, dass der Mandant ihm gegenüber die Einrede der Verjährung hätte erheben müssen.

2. Bei Tätigwerden eines Rechtsanwalts in zwei sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren, die zum einen die Aufhebung der Leistung und zum anderen die Ablehnung der Weiterbewilligung für den nachfolgenden Bewilligungszeitraum betreffen, können zwei Angelegenheiten im Sinne von § 15 Abs 2 RVG vorliegen.

 

Orientierungssatz

Der Senat teilt die in der Rechtsprechung geäußerten rechtssystematischen Bedenken im Hinblick auf den Eingriff in die Dispositionsfreiheit desjenigen, dem die Verjährungseinrede zusteht (vgl SG Nordhausen vom 24.4.2017 - S 27 AS 1757/15, RdNr 27 und SG Neubrandenburg vom 12.4.2018 - S 12 AS 1010/17, beide juris), der billigenswerte Gründe haben kann, die Einrede der Verjährung gerade nicht zu erheben.

 

Tenor

Auf die Berufung wird der Beklagte unter Aufhebung des Urteils vom 01. Dezember 2015 sowie unter Aufhebung des Bescheids vom 06. Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2015 verurteilt, die Klägerin vom Vergütungsanspruch ihres Prozessbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren W-95504-00635/15 in Höhe von 166,60 EUR freizustellen.

Der Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten für den gesamten Rechtsstreit zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt - nach teilweiser Klagerücknahme im Berufungsverfahren - von dem Beklagten die Freistellung von den Kosten der Rechtsanwaltsvergütung für ein erfolgreich durchgeführtes Widerspruchsverfahren iHv 166,60 EUR.

Die 1982 geborene Klägerin stellte am 21. Juli 2011 den Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit ab dem 01. September 2011. Dabei gab sie die Änderung ihrer Wohnanschrift ab dem 01. Juli 2011 bekannt. Durch Bescheid vom 27. Juli 2011 lehnte der Beklagte den Antrag vom 21. Juli 2011 mangels örtlicher Zuständigkeit ab. Durch weiteren Bescheid vom 27. Juli 2011 hob er die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen wegen Umzugs ohne Nennung eines Zeitpunkts auf und benannte die aus seiner Sicht zuständige Behörde. Im Rahmen ihres Antrags auf Ersteinrichtungsgeld gab die Klägerin an, dass sie derzeit im betreuten Einzelwohnen gemäß § 67 SGB Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) betreut werde. Der Prozessbevollmächtigte legte am 03. August 2011 Widerspruch gegen den ersten Ablehnungsbescheid vom 27. Juli 2011 betreffend die Ablehnung der Weiterbewilligung der Leistungen zum Geschäftszeichen 11/00532 AH ein. Des Weiteren legte er am 09. August 2011 Widerspruch gegen den zweiten Bescheid vom 27. Juli 2011 betreffend die Aufhebung der Leistungen zum Geschäftszeichen 11/00538 AH ein. Durch Bescheid vom 26. August 2011 half der Beklagte dem Widerspruch (11/00532 AH) ab und wies darauf hin, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten auf Antrag erstattet würden, soweit sie notwendig und nachgewiesen seien. Durch drei weitere Bescheide vom 26. August 2011 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01. Juli 2011 bis 31. August 2011 sowie Leistungen für die Erstausstattung bei Schwangerschaft und Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01. September 2011 bis zum 29. Februar 2012. Durch Schreiben vom 07. September 2011 übersandte der Prozessbevollmächtigte dem Beklagten die Kostenrechnung (11/00532 AH) und forderte diesen auf, gemäß der Kostenentscheidung den Gesamtbetrag iHv 309,40 EUR zu erstatten.

Bezug nehmend auf den Widerspruch der Klägerin zum Geschäftszeichen 11/00538 AH (Aufhebung der Leistung) erließ der Beklagte am 05. Dezember 2011 einen Abhilfebescheid. Auf die Rechnung vom 24. Januar 2012 zum Geschäftszeichen 11/00538 AH (Rechnungsnummer 16/2012) in Höhe von 395,08 EUR erließ der Beklagte am 28. Januar 2015 den Kostenfestsetzungsbescheid und benannte (wohl versehentlich) das Geschäftszeichen 11/00583 AH, verwies jedoch auf die Rechnung vom 24. Januar 2012 in Höhe von 395,08 EUR.

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2014 erinnerte der Prozessbevollmächtigte den Beklagten an die abschließende Bearbeitung des Kostenerstattungsantrags zum Geschäftszeichen 11/00532 AH.

Durch Bescheid vom 06. Januar 2015 lehnte der Beklagte den Kostenerstattungsantrag mit der Begründung ab, dass der Vergütungsanspruch des Bevollmächtigten gegenüber der Widerspruchsführerin verjährt sei und deshalb keine Kostenerstattung mehr in Betracht komme.

Den Widerspruch, den der Prozessbevollmächtigte unter Berufung auf den Beschluss des Bundesgeri...

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