Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. ambulant betreutes Wohnen. Zugunstenverfahren. örtliche Zuständigkeit. Bestandskraft des Ausgangsbescheids. Leistungsablehnung. keine Dauerwirkung. sachliche Zuständigkeit. Brandenburg. Berlin
Orientierungssatz
1. Ein infolge eines Wohnortwechsels gestellter Antrag im sog Zugunstenverfahren gem § 44 SGB 10 bei einem örtlich zuständigen Sozialhilfeträger bewirkt nicht, dass der mit dem Ausgangsbescheid abgelehnte "Anspruch" dort "noch anhängig" geblieben ist. Die Möglichkeit der Rücknahme eines Bescheides nach § 44 SGB 10 ändert nichts an der Bestandskraft des zu überprüfenden Bescheides. Lediglich dann, wenn es zur Rücknahme kommt, wird faktisch die Bestandskraft durchbrochen.
2. Ein Bescheid über die Ablehnung einer Leistung entfaltet keine Dauerwirkung (vgl BSG vom 30.1.1985 - 1 RJ 2/84 = BSGE 58, 27 = SozR 1300 § 44 Nr 16 und vom 10.5.1994 - 9 BV 140/93).
3. Für die Hilfe zur Pflege nach §§ 61ff SGB 12 ist gem § 97 Abs 3 Nr 2 SGB 12 der überörtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig, soweit Landesrecht keine Bestimmung gem § 97 Abs 2 S 1 SGB 12 über die Zuständigkeit getroffen hat. Für das Land Brandenburg treffen für die Zeit bis 31.12.2006 § 2a BSHGAG BB und ab 1.1.2007 § 2 Abs 1 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Sozialgesetzbuches (AG-SGB XII) vom 6.12.2006 abweichende Bestimmungen. Sie begründen die Zuständigkeit des örtlichen Trägers. Örtliche Träger sind die kreisfreien Städte und die Kreise, soweit nicht durch Landesrecht etwas anderes bestimmt wird.
4. Im Land Berlin ist das Land sowohl örtlicher als auch überörtlicher Träger der Sozialhilfe gem §§ 1, 2 SGB12AG BE.
5. Zur Bestimmung des örtlich sachlich zuständigen Leistungsträgers gem § 98 SGB 12.
6. Dem Leistungsanspruch nach §§ 61ff SGB 12 steht der Ausschluss vom Vorrang ambulanter Hilfen gem § 13 Abs 1 S 4 SGB 12 nicht entgegen. Das ergibt sich daraus, dass der Leistungskatalog der Hilfen zur Pflege durch die §§ 61ff SGB 12 abschließend geregelt ist.
Tenor
Auf die Berufung des Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 17. Juli 2008 aufgehoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2007 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, der Klägerin ab dem 10. Juni 2005 Hilfe zur Pflege in Höhe des von der Hauskrankenpflege V GmbH jeweils in Rechnung gestellten Selbstbehalts zu gewähren.
Der Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Übernahme ungedeckter Kosten für die Pflege der Klägerin.
Die Klägerin ist 1950 geboren worden. Bis 2002 hatte sie ihren Wohnsitz in B-S. Im August 2002 wurde sie wegen einer Gehirnblutung in stationäre Krankenhausbehandlung aufgenommen. Als Folgen der Erkrankung verblieben schwerste neurologische Defekte mit apallischem Syndrom, eine symptomatische Epilepsie und ein Immobilisationssyndrom. Die Klägerin ist zu eigenständigen Bewegungsabläufen nicht in der Lage und für alle Belange des täglichen Lebens auf die Hilfe anderer angewiesen. Wegen kompletter Inkontinenz ist sie mit einem Dauerkatheder versorgt. Sie kann breiige Kost schlucken. Die Kontaktaufnahme ist ihr allenfalls durch Augenbewegungen möglich; sie kann nicht sprechen.
Bei ihr ist seit 2003 die Pflegestufe III der sozialen Pflegeversicherung anerkannt, seit Januar 2004 mit zusätzlichen Leistungen nach der Härtefallregelung (Bescheid der IKK B-B vom 23. März 2004). Außerdem sind ihr nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen B, G, aG und H zuerkannt (Bescheid des Amtes für Soziales und Versorgung P vom 28. Mai 2003; Funktionsbeeinträchtigungen: Hirnschädigung mit Teilleistungsstörung, Alkoholkrankheit; Funktionsbehinderung des linken Oberschenkels; Schuppenflechte; Schwerhörigkeit rechts). Von der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte wurde ihr ab 1. Januar 2003 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zuerkannt (Bescheid vom 17. September 2003; laufender Zahlbetrag ab November 2003: 657,18 €).
Mit Wirkung ab 10. Februar 2003 schloss die Klägerin, vertreten durch ihre Tochter als damalige Betreuerin, am 7. Februar 2003 einen Untermietvertrag mit dem Gemeinnützigen Verein für Seniorenwohnungen “Zu Hause„ e.V. in L; die Tochter der Klägerin wohnt ebenfalls in diesem Ort. Die Miete betrug 330,-- € monatlich einschließlich der Kosten für elektrischen Strom. Ebenfalls ab dem 10. Februar 2003 schloss die Klägerin durch ihre damalige Betreuerin mit der Hauskrankenpflege V GmbH, L, einen Vertrag über die ambulante pflegerische Versorgung, der die Leistungen der Pflegeversicherung nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI), die Leistungen der Krankenversicherung nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und “weitere privat vereinbarte Leistungen„ umfasste. Ihm war ein “Preisberechnungsblatt SGB XI„ beigefügt, das - bez...