Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege und Eingliederungshilfe. örtliche Zuständigkeit. ambulant betreutes Wohnen. Weitergeltung der Regelungen des BSHG für vor dem 1.1.2005 begonnene Leistungsfälle. Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers am tatsächlichen Aufenthaltsort. sachliche Zuständigkeit. Nordrhein-Westfalen. Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander. Ausschlussfrist

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit nach §§ 97, 98 SGB XII.

2. Zur Ausschlussfrist nach § 111 S 1 SGB X, insbesondere auch zur Frage der rechtzeitigen Geltendmachung.

 

Orientierungssatz

Zum Begriff der "ambulant betreuten Wohnmöglichkeit" in § 98 Abs 5 S 1 SGB 12.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts H. vom 5. November 2009, soweit es ihn betrifft, aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klage des Klägers gegen den Beigeladenen wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Klage-, Berufungs- und des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der Kosten des Revisionsverfahrens bezüglich der früheren Beklagten Ziff. 2; diese Kosten trägt die frühere Beklagte Ziff. 2.

Der Streitwert wird auf 391.676,91 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Im Streit ist (nur noch) die Erstattung von Kosten in Höhe von insgesamt 391.676,91 € für Leistungen der Hilfe zur Pflege (386.745,54 €) und der Eingliederungshilfe (4.931,37 €) nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), die der Kläger in der Zeit vom 1. Mai 2007 bis 30. September 2009 an S. (S) erbracht hat. Nicht mehr im Streit steht die Erstattung der Kosten der S gewährten Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung durch die frühere Beklagte Ziff. 2 (M.).

I.

Der 1967 geborene erwerbsunfähige S leidet seit seinem zwölften Lebensjahr an einer neuromuskulären Muskeldystrophie vom Typ Duchenne, zwischenzeitlich mit Tetraparese. Bei ihm sind ein Grad der Behinderung von 100 und die Pflegestufe III mit besonderem Härtefall festgestellt worden; seit 1. Februar 1999 bezieht er vom Rentenversicherungsträger eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Bis zum 30. März 1987 war S. in der M. wohnhaft und verzog im März 1987 in die Stadt H. und zum 1. September 1994 nach Weinsberg in den Zuständigkeitsbereich des Klägers (Landkreis H.). Von April 1987 bis einschließlich August 2003 erhielt er weiter von der M. (der früheren Beklagten Ziff. 2) im Rahmen der Hilfe zur häuslichen Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Pflegegeld; außerdem wurden die Kosten des Zimmers für eine Betreuungsperson (Assistenzzimmer) und für eine besondere Pflegekraft (Arbeiterwohlfahrt H. - AWO -) übernommen sowie Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (Kfz-Hilfe) bis maximal 100,00 € monatlich gewährt. Ab 1. September 2003 wurden die Leistungen durch den Kläger erbracht, der bereits ab 1. Januar 2003 auch Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Grundsicherungsgesetz zahlte. Durch die Pflegehilfskräfte der AWO wurde S rund um die Uhr versorgt. Die erbrachten Tätigkeiten bestanden dabei in der Mobilisation (durch Bewegen), Hilfe beim Aufstehen (aus dem Bett in den Rollstuhl setzen), Hilfe bei der Körperpflege, beim Anziehen, Frühstückszubereitung und Hilfe bei der Nahrungsaufnahme, Beatmungsgerät anlegen sowie Aufräumen, Spülen, Wohnung reinigen. Nachmittags bestanden die von den Pflegehilfen S erbrachten Leistungen in der Freizeitgestaltung, Hilfe am Computer, Einkaufen, Arztbesuche, Atemübungen und auch in der abendlichen Freizeitgestaltung. Nachts musste S einmal umgelagert werden sowie das Beatmungsgerät mehrmals bedient werden sowie auch Hilfen beim Toilettengang geleistet werden. S war dabei durchweg in der Lage, seinen Tagesablauf, Freizeitaktivitäten sowie seine Pflege selbst zu regeln. Er war durchgehend in der Lage, seinen Willen kund zu tun, nicht jedoch diesen mechanisch umzusetzen.

Wegen einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zog S am 1. Mai 2007 (wieder) nach M. in eine von ihm selbst angemietete Wohnung in dem Wohnhaus, in welchem auch seine Eltern ihre Wohnung haben. Die Wohnung des S ist 90 Quadratmeter groß und verfügt über drei Zimmer. Dort wird er rund um die Uhr vom Paritätischen Sozialdienst M. (PSD) im Rahmen einer sogenannten individuellen Schwerstbehindertenbetreuung (ISB) durch Pflegehilfskräfte versorgt. S war dabei (nach wie vor) in der Lage, seinen Tagesablauf, Freizeitaktivitäten sowie seine Pflege selbst zu regeln. Er war durchweg in der Lage, seinen Willen kund zu tun, ohne ihn selbst mechanisch umsetzen zu können. Diesbezüglich war er auf die Hilfe anderer Personen angewiesen. S benötigte hiernach in regelmäßigen Abständen eine assistierte Druckbeatmung. Die Pflegehilfskräfte unterstützten ihn bei sämtlichen körperbezogenen Verrichtungen, wie die Druckbeatmung überprüfen, ihn waschen, ihm seine Nahrung geben, mit ihm gymnastische Übungen machen und ihm...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge