Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Kosten der Unterkunft und Heizung. Vier-Personen-Haushalt. angemessene Aufwendungen. Produkttheorie. Wohnraum für Wohnberechtigte im sozialen Wohnungsbau. Mietobergrenze. schlüssiges Konzept. Rückgriff auf Tabellenwerte des Wohngeldgesetzes. Kostenantragsaufforderung. Heizkosten. Kosten für die Warmwasserbereitung. Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheitsprüfung. Vierpersonenhaushalt in Brandenburg. fehlendes schlüssiges Konzept. fehlende Ermittlungsmöglichkeiten für das Gericht. Heranziehung der Wohngeldtabelle mit Sicherheitszuschlag. Kostensenkungsaufforderung. Ablauf des Übergangszeitraums. Anforderung an eine Unzumutbarkeit des Umzugs
Orientierungssatz
1. Die Angemessenheit von Kosten der Unterkunft ist nach der Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu konkretisieren. Ausgangspunkt ist die angemessene Wohnungsgröße. Diese beträgt für einen Vierpersonenhaushalt regelmäßig 90 qm .
2. Lassen sich hinreichende Feststellungen für den Vergleichsraum nicht treffen, so sind die Tabellenwerte zu § 8 WoGG heranzuziehen. Mit dem BSG ist ein Sicherheitszuschlag von 10 % des Tabellenwertes im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraums als erforderlich anzusehen.
3. Eine Begrenzung der Leistungserbringung auf die angemessenen Kosten nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGB 2 setzt regelmäßig voraus, dass eine Aufforderung zur Kostensenkung vorliegt, die dem Hilfebedürftigen Klarheit über die aus der Sicht des Leistungsträgers angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft verschafft.
4. Sind Kostensenkungsmaßnahmen nicht möglich oder zumutbar, so werden die tatsächlichen höheren Aufwendungen zwar zunächst übernommen, jedoch in der Regel längstens für sechs Monate. An die Tatbestandsmerkmale der Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit sind hohe Anforderungen zu stellen.
5. Auch die Heizkosten stehen unter dem Vorbehalt der Angemessenheit. Ist ein kommunaler Heizspiegel nicht vorhanden, so kann auf den bundesweiten Heizspiegel zurückgegriffen werden.
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 19. Juli 2007 geändert.
Der Bescheid vom 15. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 8. Dezember 2005 in der Fassung der Bescheide vom 27. März 2008 und vom 9. April 2008 wird geändert und der Beklagte wird verurteilt, den Klägern über die bereits für Kosten der Unterkunft und Heizung bewilligten Leistungen hinaus weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung wie folgt zu gewähren:
- für Oktober 2005 in Höhe von 187,89 Euro,
- für November 2005 in Höhe von 40,39 Euro,
- für Dezember 2005 in Höhe von 40,39 Euro,
- für Januar 2006 in Höhe von 90,39 Euro,
- für Februar 2006 in Höhe von 28,39 Euro,
- für März 2006 in Höhe von 28,39 Euro.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und werden die Klagen gegen die Bescheide vom 27. März 2008 und vom 9. April 2008 abgewiesen.
Der Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten für den gesamten Rechtsstreit im Umfang von einem Drittel zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU).
Die Kläger, der alleinerziehende 1964 geborene Kläger zu 1. sowie seine Kinder, die zwischen 1988 und 1996 geborenen Kläger zu 2. bis 4., bezogen von dem Beklagten seit dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Sie bewohnten seit dem 1. August 2004 in N eine seit 1994 bezugsfähige rund 114 m² große Fünf-Zimmer-Doppelhaushälfte zu einer monatlichen Kaltmiete von 570,- Euro. Der monatliche Betriebskostenvorschuss belief sich auf 50,- Euro, der monatliche Vorschuss für Heizkosten (Gas) auf 100,- Euro. Daneben zahlten die Kläger einen monatlichen Abschlag für Wasser in Höhe von 20,- Euro, Abwasser in Höhe von 30,- Euro sowie für Strom in Höhe von 50,- Euro. Im Januar 2006 zahlten die Kläger für Wasser und Abwasser keinen Abschlag, ab Februar 2006 betrug der monatliche Abschlag insoweit insgesamt 62,- Euro. Der Beklagte bewilligte den Klägern zunächst KdU in Höhe von monatlich 655,- Euro.
Mit Schreiben vom 14. April 2005 teilte der Beklagte dem Kläger zu 1. mit, dass eine Wohnfläche von 114 m² und ein Kaltmietpreis von 4,92 Euro je Quadratmeter nicht angemessen seien. Die Höhe der Angemessenheit werde durch den zuständigen Leistungsträger, den Landkreis O, im neuen Leitfaden zur Durchführung des § 22 des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II) definiert. Angemessen seien für eine vierköpfige hilfebedürftige Familie ca. 90 m² Wohnfläche zu einem Quadratmeterpreis von bis zu 4,20 Euro. Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II sollte sich der Kläger zu 1. bemühen, die Kosten der Unterkunft entweder durch einen Wohnungswechsel, durch Untervermietung oder auf andere Weise zu senken. In diesem Fall wäre eine Übernahme der tatsächlichen Kosten bis zu sechs Monaten möglich. Andernfalls sei nur die Berücksichtigung der angemessenen Kosten zulässig. ...