Entscheidungsstichwort (Thema)
Neugestaltete Bescheide über die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ohne Anlagen "Entgeltpunkte für Beitragszeiten" und "Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten". Begründungsmangel. Heilung des Begründungsmangels durch Nachreichung der Anlagen. Kostenerstattungspflicht nach § 63 Abs 1 S 2 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
1. Fügt der Rentenversicherungsträger einem Rentenbescheid die Anlagen "Entgeltpunkte für Beitragszeiten" und "Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten" nicht bei, liegt ein Begründungsmangel iS des § 35 Abs 1 S 1 und 2 SGB X vor.
2. Reicht der Rentenversicherungsträger die Anlagen nach erhobenem Widerspruch nach, wird der formelle Mangel nach § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X geheilt.
3. Dies löst die Kostenfolge des § 63 Abs 1 S 2 SGB X aus. Die Regelung des § 42 SGB X steht dem nicht entgegen. Der Rentenversicherungsträger kann nicht einerseits einen Begründungsmangel im Widerspruchsverfahren heilen und sich andererseits auf § 42 SGB X berufen. Mit der Übersendung der Anlagen hat er sein Wahlrecht, wie er auf einen Form- oder Verfahrensfehler reagiert, dahin ausgeübt, diesen zu heilen. Bei einer anderen Auslegung des Verhältnisses der Regelungen der §§ 41 und 42 SGB X würde der Anwendungsbereich des § 63 Abs 1 S 2 SGB X ausgehöhlt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 16. Juni 2020 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung der der Klägerin in einem Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten.
Die 1958 geborene Klägerin beantragte im Oktober 2017 bei der Beklagten die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Nachdem diese die Gewährung zunächst abgelehnt hatte, erließ sie unter dem 04. Juni 2018 einen Bescheid, mit dem sie die begehrte Rente wegen Erwerbsminderung ab Mai 2017 gewährte. Dem Rentenbescheid waren die Anlagen
- Berechnung der Rente,
- Entscheidungen zu rentenrechtlichen Daten,
- Versicherungsverlauf,
- Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte und
- Rente und Hinzuverdienst
beigefügt. Der Anlage „Berechnung der Rente“ war zu entnehmen, dass sich der Zahlbetrag aus 33,1872 persönlichen Entgeltpunkten (Ost), dem Rentenartfaktor 1,0 und dem aktuellen Rentenwert (Ost) von 28,66 € ergab. Weiter war dort im Einzelnen dargestellt, welcher monatliche Zahlbetrag sich nach Abzug von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für verschiedene Zeiträume ab dem 01. Mai 2017 und welche Nachzahlung sich errechnete. Die Anlage „Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte“ enthielt allgemeine Ausführungen dazu, wie Entgeltpunkte ermittelt werden. Weiter war dieser zu entnehmen, in welcher Höhe für die Klägerin Entgeltpunkte (Ost) für Beitrags-, für beitragsfreie und für beitragsgeminderte Zeiten jeweils angesetzt wurden. Eine konkrete Berechnung der Entgeltpunkte aus den Beitragszeiten sowie den beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten enthielt weder diese Anlage noch eine sonstige dem Bescheid beigefügte.
Mit Widerspruch vom 12. Juni 2018 bemängelte die bereits damals durch ihren jetzigen Bevollmächtigten vertretene Klägerin, dass der Bescheid mangels hinreichender Begründung nicht nachzuvollziehen sei. Ohne die vollständigen Berechnungsanlagen sei eine Prüfung des Bescheides nicht möglich. Mit Schreiben vom 14. Juni 2018 übersandte die Beklagte daraufhin die fehlenden Berechnungsgrundlagen, woraufhin der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Widerspruch mit Schreiben vom 27. Juli 2018 zurücknahm und die Übernahme der Kosten des Widerspruchsverfahrens beantragte.
Mit Bescheid vom 16. August 2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2018 lehnte die Beklagte gestützt auf § 63 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) die Übernahme der Kosten des Widerspruchsverfahrens mit der Begründung ab, dass die Sachentscheidung richtig gewesen sei.
Am 01. Oktober 2018 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Cottbus erhoben.
Dieses hat die Beklagte mit Urteil vom 16. Juni 2020 unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides verpflichtet, die der Klägerin im Widerspruchsverfahren gegen den Rentenbescheid vom 04. Juni 2018 entstandenen notwendigen Aufwendungen dem Grunde nach zu erstatten. Zur Begründung, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin auf der Grundlage des § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X einen Anspruch auf Erstattung der ihr im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen habe. Der Widerspruch habe nur deshalb keinen Erfolg gehabt, weil die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides in einer Verletzung einer nach § 41 SGB X heilbaren Verfahrensvorschrift gelegen habe. Der angefochtene Bescheid sei nicht hinreichend begründet i.S.d. § 35 Abs. 1 SGB X gewesen. Ein schriftlicher Verwaltungsakt müsse fü...