Entscheidungsstichwort (Thema)

Bemessung der Rechtsanwaltsgebühr für das Widerspruchsverfahren bei Befassung des Anwalts bereits im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren

 

Orientierungssatz

1. Eine höhere Gebühr als die Schwellengebühr von 300.- €. nach Nr. 2302 VVRVG kann für das Widerspruchsverfahren vom Rechtsanwalt nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich und schwierig ist.

2. Ist der Anwalt bereits in dem dem Widerspruchsverfahren vorausgegangenen Verwaltungsverfahren für denselben Auftraggeber tätig geworden, so ist eine Anrechnung der dortigen Gebühren auf die Gebühr für das Widerspruchsverfahren ausgeschlossen. Gebühren des vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens sind zu Lasten der Behörde nicht erstattungsfähig.

 

Normenkette

VV RVG Nr. 2302; RVG § 2 Abs. 2, § 14 Abs. 1, § 15a Abs. 2; SGG § 54 Abs. 1, § 63 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 3 S. 2

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. November 2015 aufgehoben.

Der Beklagte wird unter Änderung des Festsetzungsbescheides vom 9. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. September 2014 verurteilt, einen Betrag in Höhe von 178,50 € als weitere Kosten des Widerspruchsverfahrens festzusetzen.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der zu erstattenden Aufwendungen für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren, der bereits im vorangegangenen Verwaltungsverfahren tätig war.

Mit Schreiben vom 7. Dezember 2013 beantragte die im Leistungsbezug bei dem Beklagten stehende Klägerin gemäß § 44 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) die Überprüfung aller Leistungsbescheide die Leistungszeiträume ab 1. Januar 2012. Mit Bescheid vom 5. März 2014 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Dem hiergegen seitens der Klägerin durch ihren Verfahrensbevollmächtigten eingelegten Widerspruch half der Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 2014 unter Übernahme der im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Kosten und Anerkennung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten in vollem Umfang ab. Mit Kostenrechnung vom 5. Juli 2014 ließ die Klägerin die Festsetzung der Kosten der Hinzuziehung ihres Verfahrensbevollmächtigten in Höhe von (iHv) 380,- € (Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2302 VV Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG - iHv 300,- € zuzüglich der Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 des Vergütungsverzeichnisses - VV - zum RVG VV iHv 20,- € sowie 19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG iHv 60,80 €) beantragen. Der Beklagte setzte unter Berücksichtigung einer “Rahmengebühr gemäß § 14 RVG, VV 2400„ von 150,- € die zu erstattenden Kosten auf 202,30 € fest (Bescheid vom 9. Juli 2014). Den hiergegen erhobenen Widerspruch, mit dem geltend gemacht wurde, dass nach dem neuen Gebührenrecht im sog. Nachprüfungsverfahren kein verminderter Gebührenrahmen mehr vorgesehen sei, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. September 2014 als unbegründet zurück und führte aus: Dem Antrag auf Festsetzung der Geschäftsgebühr in Höhe der 300,- € betragenden Schwellengebühr sei zu folgen. Allerdings sei die im Überprüfungsverfahren ebenfalls in Höhe der Schwellengebühr entstandene Geschäftsgebühr mit 150,- € auf die Geschäftsgebühr im Widerspruchsverfahren anzurechnen.

Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, der Gesetzgeber gehe davon aus, dass im Falle der Kostenerstattung die aus dem vollen Rahmen des Vergütungstatbestandes Nr. 2302 Nr. 1 VV RVG geschöpfte Gebühr, d.h. in der Regel die Schwellengebühr iHv 300,- €, zu erstatten sei, sodass sich erstattungsfähige Kosten iHv 380,80 € ergäben. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage unter Zulassung der Berufung mit Urteil vom 12. November 2015 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet. Der Klägerin stehe kein höherer Anspruch auf Kostenerstattung nach § 63 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 SGB X zu. Im Mandatsverhältnis zwischen der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten sei die amtliche Vorbemerkung 2.3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG zu beachten. Vorliegend seien sowohl für das Verwaltungsverfahren als auch für das Widerspruchsverfahren im Innenverhältnis grundsätzlich jeweils eine Geschäftsgebühr in Höhe der Schwellengebühr von 300,- € entstanden. Nach der angeführten Vorbemerkung werde auf die im Widerspruchsverfahren entstandene Geschäftsgebühr die Geschäftsgebühr für das Verwaltungsverfahren hälftig, das heiße hier iHv 150,- € angerechnet. Dem stehe § 15a Abs. 2 RVG nicht entgegen. Danach könne sich ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt habe, wegen eines dieser Ansprüche ein Vollstreckungstitel bestehe oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht würden. Diese drei Fallgruppen träfen zunächst nicht auf eine erstattungsfähige Behörde nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X

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