Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Geschäftsgebühr für anwaltliche Tätigkeit im Vorverfahren. keine hälftige Gebührenkürzung bei Vorbefassung des Rechtsanwalts im Ausgangsverfahren als gesetzlicher Betreuer
Leitsatz (amtlich)
Die erstmalige Tätigkeit als Rechtsanwalt im Vorverfahren kann nicht zu einer hälftigen Kürzung der Geschäftsgebühr in Anwendung von Nr 2302 VV RVG (juris: RVG-VV) führen, wenn der Rechtsanwalt ausschließlich als gesetzlicher Betreuer im Verwaltungsausgangsverfahren tätig gewesen ist.
Orientierungssatz
1. Nach Nr. 2302 VV RVG i. V. m. der Vorbemerkung 2.3. Abs. 4 zu Abschnitt 3 VV RVG wird, soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr für eine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren entstanden ist, diese Gebühr zur Hälfte auf eine Geschäftsgebühr für eine Tätigkeit im weiteren Verwaltungsverfahren, welches der Nachprüfung des Verwaltungsaktes dient, angerechnet.
2. Voraussetzung der Anrechnung ist eine anwaltliche Tätigkeit i. S. des § 1 Abs. 1 RVG im Vorverfahren. Nach § 1 Abs. 2 S. 2 RVG gilt das RVG u. a. nicht für eine Tätigkeit als Betreuer. Damit führt die erstmalige Tätigkeit als Rechtsanwalt im Vorverfahren nicht zu einer hälftigen Kürzung der Geschäftsgebühr, wenn dieser ausschließlich als gesetzlicher Betreuer im Verwaltungsausgangsverfahren tätig gewesen ist.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 05.07.2016 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weitere 178,50 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht eine höhere Erstattung von Kosten für ihr Tätigwerden im Widerspruchsverfahren nach § 63 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X).
Die Klägerin ist Rechtsanwältin und mit Beschluss des Amtsgerichts (AG) P vom 17.09.2013 zur vorläufigen gesetzlichen Betreuerin für Frau M bestellt worden, die zunächst in P lebte. Frau M zog am 22.09.2013 in das Frauenhaus der Arbeiterwohlfahrt in C ein, woraufhin die Klägerin am 24.09.2013 die Übernahme der hierdurch entstehenden Kosten bei der Beklagten beantragte. In diesem Schreiben wies die Klägerin darauf hin, dass sie durch das AG P zur gesetzlichen Betreuerin für Frau M u.a. mit dem Aufgabenkreis der Wahrnehmung von Vermögensangelegenheiten und Behördenangelegenheiten bestellt worden sei. Ferner reichte sie die Bestellungsurkunde ein.
Die Beklagte übernahm mit Bescheid vom 11.12.2013 zwar die Kosten für die Unterbringung im Frauenhaus, nicht jedoch die Kosten für die bisherige Wohnung in P.
Die Klägerin legte hiergegen mit Schreiben vom 16.12.2013 auch in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwältin Widerspruch ein. Diesen begründete sie damit, dass auch die Unterkunftskosten für die Wohnung in P zu übernehmen seien. Frau M habe ihre Wohnung nur vorübergehend verlassen und sei nach einiger Zeit wieder dorthin zurückgekehrt. Die Überschneidungskosten seien unvermeidbar gewesen, so dass ausnahmsweise doppelte Unterkunftskosten zu übernehmen seien.
Die Beklagte half dem Widerspruch der Frau M mit Bescheid vom 08.01.2014 dergestalt ab, dass sie für den Monat Oktober 2013 auch die Miete für die Wohnung in P übernahm.
Die Klägerin reichte am 03.02.2014 ihre Kostenrechnung für das o.a. Widerspruchsverfahren bei der Beklagten ein und beantragte Kostenerstattung in Höhe von insgesamt 309,40 EUR. Dabei machte sie eine Geschäftsgebühr in Höhe von 240,00 EUR geltend. Zuvor ließ sie sich den Kostenfestsetzungsanspruch von Frau M mündlich abtreten.
Die Beklagte setzte die Kosten für das Widerspruchsverfahren mit Bescheid vom 27.02.2014 auf insgesamt 202,30 EUR fest. Dabei ging sie von einer Geschäftsgebühr in Höhe von 300,00 EUR aus. Darauf sei nach der Vorbemerkung 2.3 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG (VV RVG) die aufgrund der vorangegangenen Tätigkeit im Verwaltungsverfahren entstandene Geschäftsgebühr zur Hälfte anzurechnen. Es verbleibe daher für das Widerspruchsverfahren noch eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV RVG in Höhe von 150,00 EUR; zuzüglich der Nebenkosten (Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG: 20,00 EUR und 19% MwSt.: 32,30 EUR) ergebe sich der festgesetzte Gesamtbetrag von 202,30 EUR.
Die Klägerin legte hiergegen am 25.03.2014 Widerspruch ein und begründete ihn damit, dass sie im Rahmen der Antragstellung als Betreuerin für Frau M tätig geworden sei. Erst im nachfolgenden Widerspruchsverfahren sei sie erstmalig anwaltlich tätig geworden. Es sei daher für das Antragsverfahren keine Geschäftsgebühr nach dem RVG entstanden, die auf die Geschäftsgebühr für das Widerspruchsverfahren angerechnet werden könne. Sie bitte daher um Überweisung des fehlenden Betrages von 150,00 EUR zzgl. 19% Mehrwertsteuer i.H.v. 28,50 EUR, also insgesamt 178,50 EUR.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid...