Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuerkennung des Merkzeichens "aG" im Wege der Gleichstellung
Orientierungssatz
1. Die Annahme einer außergewöhnlichen Gehbehinderung als Voraussetzung für die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" darf nur auf eine Einschränkung der Gehfähigkeit und nicht auf Bewegungsbehinderungen anderer Art bezogen werden. Wegen der begrenzten städtebaulichen Möglichkeiten, Raum für Parkerleichterungen zu schaffen, sind hohe Anforderungen zu stellen, um den Kreis der Begünstigten klein zu halten (BSG Urteil vom 29. 3. 2007, B 9a SB 1706 R).
2. Eine Gleichstellung mit den originär zu berücksichtigenden Betroffenen setzt voraus, dass diese sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen können, wie die in den Ausführungsbestimmungen zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO genannten Personen.
3. Führt eine schwere autistische Verhaltensstörung lediglich dazu, dass der Betroffene ständig auch auf einem gfs. verkürzten Weg überwacht und geleitet werden muss, so würde das Merkzeichen "aG" nur dazu dienen, der notwendigen Begleitperson ihre Aufgabe zu erleichtern.
4. Insoweit ist zur Anerkennung des Merkzeichens "aG" eine so starke Selbstgefährdung oder Gefährdung Dritter erforderlich, dass eine verantwortungsbewusste Begleitperson den Behinderten im innerstädtischen Fußgängerverkehr nicht mehr führen, sondern nur noch im Rollstuhl befördern würde.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 16. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung).
Der 1995 geborene Kläger leidet seit frühester Kindheit u. a. an einem therapieschweren Epilepsiesyndrom bei geistiger Behinderung sowie einer schweren autistischen Verhaltensstörung. Aufgrund entsprechender Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) bezieht er seit Jahren von der Pflegekasse Leistungen für Pflegebedürftige der Pflegestufe III. Ein Rollstuhl ist bisher weder beantragt noch verordnet worden und wird im Haushalt auch nicht genutzt. Sein Vater, der bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Klägers zusammen mit seiner Mutter das elterliche Sorgerecht innegehabt hatte, ist für den Kläger seit dem 26. März 2014 für die Aufgabenkreise „alle Angelegenheiten, Entgegennahme, Öffnen und Bearbeiten der Post“ zum Betreuer bestellt.
Mit Bescheid vom 15. April 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2010 hatte der Beklagte zuletzt zugunsten des Klägers den Grad der Behinderung (GdB) mit 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), „B“ (Notwendigkeit ständiger Begleitung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel), „H“ (Hilflosigkeit) und „RF“ (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) festgestellt. Hierbei war er davon ausgegangen, dass bei dem Kläger eine Entwicklungsstörung mit Teilleistungsschwächen, ein Anfallsleiden sowie eine Harninkontinenz zu berücksichtigen seien, die er in der Reihenfolge der Benennung intern mit Einzel-GdB von 90, 60 und 30 bewertet hatte. Die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „aG“, das dem Kläger früher einmal zuerkannt, aber mit dem Bescheid vom 12. Juli 2006 bestandskräftig wieder entzogen worden war, hatte der Beklagte mit dem zuletzt erteilten Bescheid abgelehnt, weil sich der Kläger nicht wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Fahrzeuges bewegen könne.
Nachdem dieser Bescheid bestandskräftig geworden war, beantragte der Kläger am 1. Oktober 2010 erneut, ihm das Merkzeichen „aG“ zuzuerkennen. Zur Begründung verwies er auf eine Epikrise der E Krankenhaus K gGmbH (Epilepsie-Zentrum B) vom 14. Juni 2010. In dieser Epikrise war die Zuerkennung des Merkzeichens „aG“ als dringend indiziert angesehen und zusammenfassend u. a. ausgeführt worden: Der Kläger sei in seinem Alltag voll auf die Hilfe seiner Umwelt angewiesen. Eine selbständige Orientierung und gezielte Bewegungsfreiheit bestehe in einem extrem eingeschränkten Maße. Ein Begreifen der Umwelt sei für ihn nicht möglich. Er sei in seinem Alltag auf konstante Abläufe und bekannte Umfelder angewiesen und werde hier in ganz besonderer Weise durch seine Eltern versorgt. In Situationen, wie z. B. bei Ortswechseln oder unvorhergesehenen Begebenheiten, die ihn irritierten, reagiere er mit vehementen Bewegungsstereotypien, zeitweise auch mit stark autoaggressivem und aggressivem Verhalten und sei auch für den Vater oft nur zu begrenzen. Eine Möglichkeit, auf ihn einzuwirken, bestehe dann nicht. Vor allem die Wege bereiteten ihm Schwierigkeiten. So könne er z. B. bei Au...