Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Aufsichtsklage. Beanstandungsrecht des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Genehmigungsvorbehalt. Leistungskatalog des einheitlichen Bewertungsmaßstabes für ärztliche Leistungen (juris: EBM-Ä 2008). Kompetenz des Bewertungsausschusses. Abweichung von der gesetzgeberischen Grundentscheidung zur Inanspruchnahme von Sachleistungen in Form vertragsärztlicher Behandlung. humangenetische Leistung. demokratische Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Vergleich zum Bewertungsausschuss. schonende und maßvolle Rechtsaufsicht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Beanstandungsrecht des BMG nach § 87 Abs 6 S 2 SGB V ist auf eine Rechtskontrolle beschränkt.

2. Den Leistungskatalog des EBM modifizierende Genehmigungsvorbehalte liegen nicht in der Kompetenz des Bewertungsausschusses; sie bedürfen der besonderen gesetzlichen Ermächtigung.

3. Von der gesetzgeberischen Grundentscheidung zur Inanspruchnahme von Sachleistungen in Form vertragsärztlicher Behandlung in § 15 Abs 2 SGB V darf nur in gesetzlich geregelten Fällen abgewichen werden.

4. Das SGB V kennt zwar eine Fülle von Genehmigungsvorbehalten, die die in § 15 Abs 2 SGB V getroffene Regelung modifizieren, nicht jedoch in Bezug auf humangenetische Leistungen; die allgemeinen, in § 87 Abs 2 und Abs 2d SGB V enthaltenen Regelungen zum EBM und zu den Aufgaben des Bewertungsausschusses enthalten weder ausdrücklich noch sinngemäß eine Ermächtigung des Bewertungsausschusses zur Einführung von auf einzelne Gebührenordnungspositionen bezogenen Genehmigungsvorbehalten.

5. Zur demokratischen Legitimation des Gemeinsamen Bundesausschusses im Vergleich zu derjenigen des Bewertungsausschusses.

6. Beanstandungen im Hinblick auf einzelne Regelungen des EBM dürfen nur mit der Verpflichtung verbunden werden, die Beanstandung innerhalb einer vom BMG zu setzenden Frist zu beheben (§ 87 Abs 6 S 4 SGB V); in konkreten Anweisungen zur Art und Weise der Behebung einer Beanstandung liegt weder schonende noch maßvolle Ausübung von Rechtsaufsicht.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 27.01.2021; Aktenzeichen B 6 A 1/19 R)

 

Tenor

Der Bescheid des Bundesministeriums für Gesundheit vom 26. Mai 2016 wird aufgehoben, soweit dem Bewertungsausschuss aufgegeben worden ist, die Gebührenordnungspositionen 11449, 11514 und 19425 mit Wirkung zum 1. Juli 2016 durch jeweilige Streichung der jeweiligen Genehmigungsrechte und -pflichten entsprechend anzupassen (Ziffer 2.a des Bescheides).

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten tragen die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem diese den Beschluss des Bewertungsausschusses vom 11. März 2016 zur Weiterentwicklung humangenetischer Leistungen teilweise beanstandete und mit Auflagen versah; streitig ist die Festlegung von Genehmigungspflichten für die humangenetischen Gebührenordnungspositionen (GOP) 11449, 11514 und 19425.

Der von den beiden Klägern nach § 87 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gebildete Bewertungsausschuss fasste in seiner 372. Sitzung am 11. März 2016 einen Beschluss zur Weiterentwicklung humangenetischer Leistungen im einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) mit Wirkung vom 1. Juli 2016. Ausweislich seiner „Entscheidungserheblichen Gründe“ war Ziel dieses Beschlusses, die humangenetischen Leistungen der Abschnitte 11.3 und 11.4 EBM mit Wirkung vom 1. Juli 2016 an den Stand von Wissenschaft und Technik anzupassen sowie die Neuaufnahme eines Abschnitts 19.4 EBM zur „In-vitro-Diagnostik tumorgenetischer Veränderungen“.

Ziffer 9 des Beschlusses vom 11. März 2016 fasste Abschnitt 11.4 EBM („In-vitro-Diagnostik konstitutioneller genetischer Veränderungen“) neu.

Der Unterabschnitt 11.4.2 („Indikationsbezogene genetische In-vitro-Diagnostik monogener Erkrankungen“) enthielt danach u.a. folgende GOP:

11352 Cystische Fibrose - vollständige Untersuchung

Obligater Leistungsinhalt

- Vollständige Untersuchung des CFTR-Gens,

einmal im Krankheitsfall 10993 Punkte

11371 Muskeldystrophie Typ Duchenne/Becker - vollständige Untersuchung

Obligater Leistungsinhalt

- Vollständige Untersuchung des Dystrophin-Gens,

einmal im Krankheitsfall 20615 Punkte

11401 Hämophilie A - vollständige Untersuchung

Obligater Leistungsinhalt

- Vollständige Untersuchung des F8-Gens auf Deletionen und Mutationen,

einmal im Krankheitsfall 16418 Punkte

11411 Spinale Muskelatrophie - vollständige Untersuchung

Obligater Leistungsinhalt

- Vollständige Untersuchung des SMN1- Gens,

einmal im Krankheitsfall 4484 Punkte

11431 Lynch-Syndrom (Hereditäres non-polypöses kolorektales Karzinom, HNPCC) - Untersuchung bei einer nachgewiesenen Mikrosatelliteninstabilität entsprechend der Gebührenordnungsposition 19426 und/oder einer immunhistochemischen Expressionsminderung eines der Gene MLH1, PMS2, MSH2 oder MSH6 um mehr als 50 % im Tumorgewebe

Obligater Leistungsinhalt

- Vollständige Untersuchung auf konstitutionelle Deletionen und Mutat...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge