Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Entziehung der Schwerbehinderteneigenschaft. GdB-Herabsetzungsbescheid. Anforderungen an die Bestimmtheit des Bescheids. erforderliche Angabe des konkreten Datums der Herabsetzung. Geltung "ab Bekanntgabe" nicht ausreichend. Auslegung. Fiktion der Bekanntgabe. Vermerk in der Behördenakte. Abzeichnung des Sachbearbeiters. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren

 

Orientierungssatz

1. Ein Bescheid über die Herabsetzung eines Grads der Behinderung (GdB) ist nicht hinreichend bestimmt iS des § 33 Abs 1 SGB 10, wenn er den Zeitpunkt des Geltungsbeginns nur mit der Formel "ab Bekanntgabe" angibt.

2. Will die Behörde erkennbar einen Zeitpunkt nach dem Erlass des Bescheides für die Herabsetzung des Bescheids bestimmen (hier durch die Formel "ab Bekanntgabe"), kommt eine geltungserhaltende Auslegung dahingehend, dass die Herabsetzung ab dem Datum des Bescheiderlasses erfolgen soll, nicht mehr in Betracht (Abgrenzung zu LSG Essen vom 16.11.2018 - L 13 SB 280/17).

3. Die Vorschrift des § 37 Abs 2 SGB 10 führt nur dann über die Auslegung zu einem hinreichend bestimmten Geltungsdatum, wenn sich aus dem Bescheid selbst (und nicht erst aus Verwaltungsakten) der Tag der Aufgabe zur Post ergibt.

4. Die Fiktion der Bekanntgabe nach § 37 SGB 10 greift ohnehin nur dann ein, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in der Behördenakte vermerkt wurde (vgl BSG vom 28.11.2006 - B 2 U 33/05 R = BSGE 97, 279-285 = SozR 4-2700 § 136 Nr 2).

5. Ob ein derartiger Vermerk in jedem Falle auch die Unterschrift oder zumindest das Namenskürzel des Sachbearbeiters erfordert (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 13.8.2019 - L 11 SB 156/18), konnte hier offenbleiben.

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. November 2019 geändert und der Bescheid des Beklagten vom 17. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides 17. Oktober 2017 aufgehoben, soweit darin unter Aufhebung des Bescheides vom 2. September 2014 beim Kläger ein Grad der Behinderung von weniger als 50 festgestellt wurde.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zur Hälfte und des Berufungsverfahrens zur Gänze zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des zuletzt bei ihm festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 60 auf 40.

Mit Bescheid vom 2. September 2014 hatte der Beklage den zuvor beim Kläger festgestellten GdB von 40 auf 60 mit Wirkung ab dem 13. Mai 2014 angehoben und als Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt: chronisch-entzündliche Darmerkrankung (Einzel-GdB 40) sowie Gewebeneubildung des linken Hodens in Heilungsbewährung (Einzel-GdB 50). Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 7. Dezember 2016 setzte der Beklagte mit Bescheid vom 17. Januar 2017 den GdB herab. Konkret lautete der Tenor des Bescheides: „Ihr Grad der Behinderung (GdB) beträgt 40. Sie gehören zum Personenkreis der behinderten Menschen. Ein Schwerbehindertenausweis steht Ihnen nicht zu. Diese Entscheidung ist wirksam mit Bekanntgabe dieses Bescheides. Der Bescheid vom 2. September 2014 wird entsprechend aufgehoben.“ Der elektronisch gefertigte Bescheid enthält ebenso, wie der Rest des Verwaltungsvorganges, keinen Vermerk eines Sachbearbeiters über die Aufgabe des Bescheides zur Post. In der elektronischen Akte des Beklagten findet sich der Eintrag: „versendet am 18. Januar 2017“.

Am 30. Januar 2017 ging beim Beklagten ein auf den 23. Januar 2017 datierter Widerspruch des Klägers ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2017 zurückwies.

Mit der am 3. November 2017 erhobenen Klage hat der Kläger vorgebracht, sein Gesundheitszustand rechtfertige keinesfalls die Absenkung des GdB auf einen Wert unterhalb von 50. Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt und weiter Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. Sch, der den Kläger am 27. Mai 2019 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 7. Juni 2019 zu der Einschätzung gelangt ist, nach Ablauf der Heilungsbewährung sei ab Mai 2016 noch ein GdB von 40 gerechtfertigt. Im Einzelnen leide der Kläger nunmehr noch unter einer Colitis ulcerosa, die mit einem GdB von 40 zu bewerten sei. Die weiter beim Kläger festzustellenden Funktionsbeeinträchtigungen Depression mit Hinweis auf Somatisierungsstörung, Verschleiß der Wirbelsäule, Krampfaderleiden, bösartige Gewebeneubildung der Hoden mit operativer Versorgung im Mai 2014 und Migräne ohne Aura seien jeweils mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen. Mit Gerichtsbescheid vom 26. November 2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich im Wesentlichen auf das Ergebnis der Begutachtung gestützt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Gerichtsbescheid Bezug genommen, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 29. November 2019 zugestellt w...

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