Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2301. haftungsbegründende Kausalität. Theorie der wesentlichen Bedingung. Konkurrenzursache. wesentliche Teilursache. Anlageleiden. degenerativ bedingter Hörausfall. Lärmschwerhörigkeit
Leitsatz (amtlich)
Das Vorliegen von degenerativ bedingten Hörausfällen gerade in Frequenzbereichen, die typischerweise nicht von Lärm geschädigt werden, schließt das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit rechtlich gerade nicht aus.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. August 2012 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, bei dem Kläger das Vorliegen einer BK Nr. 2301 anzuerkennen.
Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Anerkennung seiner Schwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV - Lärmschwerhörigkeit).
Der 1948 geborene Kläger arbeitete vom 1. November 1969 bis zum 28. Februar 1981 als Tischler in der Produktion von Fertighäusern. Dabei baute er Bauelemente zusammen und benutzte hierzu unter anderem Handkreissägen und Nageleintreibgeräte. Ab März 1981 bis zum 30. April 1999 war er als Bautischler, hauptsächlich auf Baustellen und in kleinerem Umfang in einer Werkstatt tätig. Zu seinen Aufgaben gehörte es Türen aus Holz an verschiedenen Baustellen einzubauen. Er bearbeitete diese mit verschiedenen Holzbearbeitungsmaschinen vor Ort (Kreissägen, Hobelmaschinen etc.). Auch vom 1. März 2002 bis zum 28. Februar 2003, vom 5. Juli 2004 bis 31. März 2005 sowie vom 10. Oktober 2006 bis 15. Februar 2007 war er beruflich tätig, hierbei jedoch keinem Lärm ausgesetzt. Seit 1. Dezember 2005 bezieht er eine Rente der Deutschen Rentenversicherung Bayern-Süd.
Mit Bescheid vom 25. Februar 1977 ist bei dem Kläger wegen eines Arbeitsunfalls vom 2. September 1976 eine MdE von 10 v.H. anerkannt worden.
Der Kläger ist Schwerbehinderter im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales vom 10. November 2005).
Erstmalig suchte er 1993 den Facharzt für HNO-Heilkunde E wegen Hörbeschwerden und einem Ohrgeräusch auf. Dieser diagnostizierte einen beidseitigen Tinnitus sowie eine Innenohrschwerhörigkeit mit psychischer Begleitstörung und übersandte ein Audiogramm vom 10. Januar 2005. Der Facharzt für HNO-Heilkunde K führte in einem Befundbericht vom 13. November 2006 aus, der Kläger habe ihn wegen einer seit 1981 fortschreitenden Hörminderung mit Tinnitus aufgesucht. Er erstellte Audiogramme des Klägers am 12. März 2001, am 26. April 2001, am 10. Januar 2005, am 30. August 2005, am 13. September 2005, am 7. Dezember 2006, am 13. November 2006 sowie am 18. Dezember 2006.
Mit Schreiben vom 16. Oktober 2006 beantragte der Kläger die Anerkennung einer Berufskrankheit wegen einer starken Hörminderung beidseits sowie einem anhaltenden Tinnitus und führte aus, er sei von 1969 bis 1981 unerträglichem Lärm ausgesetzt gewesen.
Der Technische Aufsichtsdienst der Holz-Berufsgenossenschaft teilte mit Schreiben vom 18. Januar 2007 mit, der Kläger sei in seiner Tätigkeit von November 1969 bis Oktober 1970 sowie von August 1971 bis Februar 1981 einer Lärmbelastung von ca. 93 dB (A) ausgesetzt gewesen. Der Technische Aufsichtsdienst der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft teilte mit Schreiben vom 10. April 2007 mit, der Kläger sei während seiner Beschäftigung vom 2. März 1981 bis zum 30. April 1999 auf der Baustelle einer Lärmbelastung von 88 dB (A) in ca. 40 Arbeitswochen/Jahr und in der Werkstatt von 92 dB (A) in ca. fünf Arbeitswochen/Jahr ausgesetzt gewesen.
Der mit der Begutachtung des Klägers beauftragte Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. M führte in seinem Gutachten vom 3. Mai 2007 unter anderem aus, der Kläger sei einer ausreichenden beruflichen Lärmexposition ausgesetzt gewesen. Erste Anzeichen der Schwerhörigkeit und der Ohrgeräusche hätten sich bereits 1980 und damit nach ca. elfjähriger Tätigkeit gezeigt. Bei Vergleich der Audiogramme von 2001 und des jetzt erstellten Audiogramms sei es zu keiner Zunahme der Schwerhörigkeit gekommen. Außerberufliche Faktoren seien nicht ersichtlich. Dies alles mache eine berufsbedingte Lärmschädigung wahrscheinlich, es bestehe eine haftungsbegründende Kausalität. Er empfehle, eine BK Nr. 2301 mit einer MdE von 60 v.H. anzuerkennen.
Die Beklagte holte zu diesem Gutachten eine beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. Z ein, der unter dem 2. August 2007 unter anderem ausführte, das von Dr. M erstellte Tonaudiogramm zeige einen Schrägverlauf, der untypisch für eine Lärmschwerhörigkeit sei und vielmehr das Vorliegen einer degenerativen Schwerhörigkeit nahelege. Es sei für eine Lärmschwerhörigkeit untypisch, dass auch der Tief- und Mitteltonbereich beteiligt sei. Das von Dr. M erstellte Audiogramm lasse im Übrigen sehr wohl eine...