Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Rentenversicherungsträger. Rechtmäßigkeit eines nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassenen und Insolvenzforderungen feststellenden Betriebsprüfungsbescheides
Leitsatz (amtlich)
Die Rentenversicherungsträger dürfen nach einer Betriebsprüfung Verwaltungsakte zur Feststellung von Insolvenzforderungen der Krankenkassen erlassen. Die gesetzlichen Bestimmungen des Insolvenzrechts verdrängen nicht als speziellere Regelungen die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. August 2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst zu tragen haben.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassenen und Insolvenzforderungen feststellenden Betriebsprüfungsbescheides.
Die 1994 geborene Insolvenzschuldnerin hatte vom 1. März 2017 bis zum 15. April 2019 - mit Unterstützung ihres Stiefvaters - ein Taxiunternehmen betrieben. Nach Einstellung der Betriebstätigkeit beantragten mehrere Krankenkassen bei dem beklagten Rentenversicherungsträger die Durchführung einer Betriebsprüfung. Die Beklagte führte eine solche ab September 2019. im Unternehmen der Insolvenzschuldnerin durch. Mit Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 21. April 2020 wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet, der Kläger wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.
Nach Anhörung im Rahmen der Schlussbesprechung am 26. Mai 2020 stellte die Beklagte mit Bescheid vom selben Tag eine Nachforderung von Beiträgen zur Gesamtsozialversicherung für den Zeitraum vom 1. März 2019 bis 15. April 2019 betreffend 14 namentlich genannte Arbeitnehmer fest. Die Insolvenzschuldnerin hatte ab März 2019 Beiträge nicht mehr gemeldet und nicht abgeführt. Die Beklagte gab die Entscheidung gegenüber dem Insolvenzverwalter bekannt. In der mit „Bescheid“ überschriebenen und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehenen Entscheidung erklärte die Beklagte:
„…die sich aus der Prüfung ergebende Nachforderung beträgt insgesamt 10.810,32 Euro.
Die sich aus der Prüfung ergebenden Insolvenzforderungen betragen insgesamt 10.810,32 Euro. Die Insolvenzforderungen nach § 38 InsO werden von den zuständigen Krankenkassen als Einzugsstellen für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend gemacht.“
Unter der Überschrift „Zahlungsfrist“ führte die Beklagte aus:
„Dieser Bescheid inklusive der Anlagen stellt Beiträge als Insolvenzforderung nach § 38 InsO fest, die nach §§ 187 ff InsO zu befriedigen sind. Die Insolvenzforderungen werden von der(n) zuständigen Einzugsstelle(n) zur Tabelle nach § 175 InsO gemeldet. …
Eine Zahlungsaufforderung ist damit nicht verbunden.“
Die Beklagte korrigierte fehlende Abmeldungen von Arbeitnehmern von der Sozialversicherung im Zeitraum vom 1. Januar 2019 und 15. April 2019. Zudem übersandte sie den zuständigen Krankenkassen Prüfmitteilungen vom Bescheidergebnis. Zwei weitere Krankenkassen informierte die Beklagte mittels einer Prüfmitteilung über Beanstandungen ab November 2018 bzw. Dezember 2018, die im Bescheid vom 26. Mai 2020 jeweils nicht aufgeführt sind.
Gegen die Entscheidung durch Bescheid erhob der Kläger am 12. Juni 2020 Widerspruch und vertrat die Ansicht, die Beklagte dürfe die geltend gemachten Forderungen nicht durch Verwaltungsakt festsetzen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dem Prüfbescheid komme die Funktion eines Grundlagenbescheides zu, er stelle für die Einzugsstellen verbindlich die maximale Höhe der rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträge fest. Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 28. Mai 2015 - B 12 R 16/13 R) schaffe erst dieser Bescheid die Grundlage für die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Beitragsschuldverhältnis und vermittele den Nachweis einer Rechtsstellung, ohne gleichzeitig bereits die Funktion eines Vollstreckungstitels im engeren Sinn zu haben. Bei dem angegriffenen Bescheid handele es sich nicht um eine Forderungsanmeldung, sondern um die Begründung für die Einzugsstelle für eine ggf. von dort anzumeldende Insolvenzforderung.
Der Kläger hat hiergegen am 8. Juli 2020 vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben. Er vertritt die Ansicht, dass die Beklagte bei Insolvenzforderungen keine Festsetzungsentscheidung in einem Grundlagenbescheid treffen dürfe, da anderenfalls das Prüfrecht der übrigen Gläubiger und das formalisierte Verfahren nach der Insolvenzordnung (InsO) unterlaufen würde. Vorliegend handele es sich um Insolvenzforderungen und nicht um Masseverbindlichkeiten, so dass die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Mai 2015 (B 12 R 16/13 R) nicht einschlägig sei. Jeglicher Einwand eines Insolve...