Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit der Klage bei Versäumen der Klagefrist. Folgen rechtsstaatswidriger Strafhaft in der DDR. Anerkennung weiterer Schädigungen. Gegenstand der Klage. Vorverfahren
Leitsatz (redaktionell)
In einem Rechtsstreit über die Höhe der MdE aufgrund bereits anerkannter Haftfolgen wird ein nach Klageerhebung erlassener Bescheid über die Anerkennung weiterer Schädigungen nicht Gegenstand nach § 96 SGG.
Orientierungssatz
1. Vor Erhebung einer Verpflichtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen, es sei denn, es handelt sich bei dem zugrundeliegenden Streitgegenstand um einen solchen i. S. von § 78 Abs. 1 S. 2 SGG. Ein weiterer Bescheid wird nach § 96 SGG nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er den mit der Klage angegriffenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt oder eine solche Änderung oder Ersetzung versagt.
2. Ist sonach die Durchführung eines Vorverfahrens erforderlich, so ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Bei Versäumen der Klagefrist ist die Klage als unzulässig abzuweisen, wenn Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ersichtlich sind.
Normenkette
SGG §§ 96, 78 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 84 Abs. 1 S. 1, § 67
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Oktober 2006 wird zurückgewiesen, soweit die Klägerin die Anerkennung von Zahn- und Kieferschäden als weitere Schädigungsfolge begehrt.
Für das Berufungsverfahren findet eine Kostenerstattung nicht statt. Für das Verfahren in erster Instanz bleibt die Kostenentscheidung der Schlussentscheidung im Verfahren L 13 VH 83/09 vorbehalten, soweit nicht bereits mit Urteil vom 12. November 2009 im Verfahren L 13 VH 45/06 über die Kosten entschieden worden ist.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Nach Abtrennung vom Verfahren L 13 VH 45/06 streiten die Beteiligten im vorliegenden Verfahren über die Anerkennung weiterer Schädigungen als Folgen rechtsstaatswidriger Strafhaft in der DDR.
Die Klägerin erlitt in der DDR in der Zeit vom 12. Mai 1988 bis 15. März 1989 eine rechtsstaatswidrige Haft und wurde am 15. März 1989 in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben. Die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 Häftlingshilfegesetz (HHG) wurde ihr am 24. Juli 1989 erteilt.
Im August 2003 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen. Sie habe in der Haft unter Zahnfleischbluten gelitten und sich auch einen Schneidezahn abgebrochen. Diese Leiden hätten in der Haft keine ausreichende zahnärztliche Versorgung erfahren. Der Beklagte zog daraufhin noch verfügbare Krankenunterlagen der Klägerin aus der Zahnklinik in B/H bei. Mit Bescheid vom 23. Dezember 2005 lehnte er die Feststellung von Zahn- und Kieferschäden als weitere Schädigungsfolgen ab. Zur Begründung führte er aus, bei dem abgebrochenen Zahn könne es sich nur um eine bereits bestehende Krone bzw. ein bestehendes Brückenglied gehandelt haben, da der Frontzahnbereich der Klägerin bereits vor der Inhaftierung entsprechend versorgt gewesen sei. Zahnfleischprobleme hätte die Klägerin bereits vor der Inhaftierung gehabt, so dass allenfalls eine Verschlimmerung in Betracht komme. Insofern sei aber angesichts der Haftdauer von 10 Monaten und der anschließenden Möglichkeit zu ausreichender Versorgung nicht von einer Ursächlichkeit der Haft für heutige Schäden auszugehen. Der Bescheid wurde am 27. Dezember 2005 zur Post gegeben. Mit Schreiben vom 2. April 2006, das an den Beklagten gerichtet war, jedoch beim Sozialgericht zum bereits am 3. Mai 1996 eingeleiteten Klageverfahren eingegangen ist, hat die Klägerin gegen den Bescheid vom 23. Dezember 2005 Widerspruch erhoben, bzw. dessen Rücknahme begehrt.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 17. Oktober 2006 die Klage abgewiesen. Die in Bezug auf den Bescheid vom 23. Dezember 2005 erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage wegen Anerkennung der weiteren Schädigungsfolgen Zahn- und Kieferschäden sei unzulässig, weil dieser Bescheid mangels Rechtshängigkeit nicht mehr habe Gegenstand des mit der Klage vom 3. Mai 1996 eingeleiteten Klageverfahrens werden können. Jenes Verfahren sei durch übereinstimmende Erledigungserklärungen bereits erledigt gewesen.
Mit der am 27. Oktober 2006 eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, der Beklagte sei von einer “katastrophalen Ignoranz„ gegenüber den bereits unnötig angerichteten Schäden geprägt. Das angefochtene Urteil sei fehlerhaft, weil die Schöffen während der Verhandlung fest geschlafen hätten.
Das nach Abtrennung von den übrigen Streitgegenständen mit Beschluss vom 12. November 2009 noch die Geltendmachung von Zahn- und Kieferschäden als weitere Schädigungsfolgen betreffende Verfahren hat der Senat mit Beschluss vom selben Tag bis zur Entscheidung über den Widerspruch der Klägerin ausgesetzt. Der Beklagte hat den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2010 wegen Fristversäumung als unzu...