Entscheidungsstichwort (Thema)
Zurückverweisung des Rechtsstreits bei Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das Sozialgericht
Orientierungssatz
1. Eine Entscheidung mittels Gerichtsbescheid durch den Einzelrichter darf nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGG nur ergehen, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
2. Dies ist u. a. dann ausgeschlossen, wenn das Gericht der allgemeinen Amtsermittlungspflicht nicht hinreichend Rechnung getragen hat.
3. Die Auswertung eingeholter Befundberichte der behandelnden Ärzte in einem Rentenrechtstreit genügt regelmäßig nicht, um den Erfordernissen der Amtsermittlung gerecht zu werden. Zur Aufklärung eines Sachverhalts in medizinischer Hinsicht bedarf es regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens.
4. Ein entsprechender Verfahrensmangel macht eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme i. S. von § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG erforderlich. Das Berufungsgericht kann angesichts erheblicher Mängel des sozialgerichtlichen Verfahrens den Rechtstreit nach § 159 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverweisen.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 11. September 2015 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Auf Veranlassung der Agentur für Arbeit Berlin war die Klägerin im August 2012 durch die Fachärztin für innere Medizin Dr. P ärztlich untersucht und begutachtet worden. Im Gutachten war die Ärztin zu der Einschätzung gelangt, die Klägerin leide auf psychischem Gebiet unter einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Depression und Ängsten und einer Somatisierungsstörung sowie im Übrigen unter einem rezidivierenden Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom bei Fehlhaltung, einer chronischen Anämie, Migräne, einer hochgradigen Sehminderung des rechten Auges mit fehlendem räumlichen Sehen. Außerdem bestehe der Verdacht auf eine Gonarthrose beidseitig bei Zustand nach Knieoperationen. Das Leistungsvermögen der Klägerin sei vollständig aufgehoben, wenn auch nicht auf Dauer, so doch aber voraussichtlich länger als sechs Monate. Im Dezember 2012 beantragte die Klägerin daraufhin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte veranlasste Untersuchungen der Klägerin durch die Fachärztin für innere Medizin Dr. E und die Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie St. Beide Ärztinnen gelangten zu der Einschätzung, die Klägerin sei bei qualitativen Einschränkungen noch vollschichtig erwerbsfähig. Mit Bescheid vom 23. Juli 2013 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab und hielt daran auch mit Widerspruchsbescheid vom 6. November 2013 fest.
Mit der am 9. Dezember 2013 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und sich hierzu im Wesentlichen auf das Ergebnis der Begutachtung im Auftrag der Agentur für Arbeit bezogen.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt und mit Gerichtsbescheid vom 11. September 2015 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klägerin sei weder vollständig noch teilweise erwerbsgemindert. Ihr Leistungsvermögen sei zwar in qualitativer, nicht jedoch in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt. Insbesondere habe die die Klägerin behandelnde Internistin in ihrem Befundbericht vom 30. Januar 2015 die Klägerin für fähig gehalten, körperlich leichte Arbeiten mindestens sechs Stunden zu verrichten. Aus dem Befundbericht des Facharztes für Psychiatrie B vom 19. März 2015 ergebe sich, dass die Klägerin bei ihm insgesamt nur sechs Mal, zuletzt zweimal 2013 und einmal 2014 in Behandlung gewesen sei, was gegen einen stark ausgeprägten Leidensdruck der Klägerin auf psychischem Fachgebiet spreche. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Mit der am 21. Oktober 2015 erhobenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 11. September 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 23. Juli 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2013 zu verpflichten, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt des Verwaltungsvorgangs sowie der Streitakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 124 Abs. 2 SGG über die Klage ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Berufung ist gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG im Sinne...