Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der gerichtlichen Kontrolle eines ergangenen Überprüfungsbescheides. Überprüfungsantrag. Inhaltliche Prüfung. Maßgeblicher Zeitpunkt. Klageänderung. Sachdienlichkeit. Gewaltenteilung
Orientierungssatz
1. Bezeichnet der Antragsteller bei einem gestellten Überprüfungsantrag nach § 44 SGB 10 einen konkreten Bescheid und benennt er im Einzelnen Gründe der entsprechend anzustellenden Überprüfung, so kann sich die Behörde nicht allgemein auf die Bindungswirkung ohne inhaltliche Prüfung des ergangenen Bescheides berufen.
2. Der gegen die Verwaltung geltend gemachte Überprüfungsanspruch geht grundsätzlich auf die Rücknahme eines bestimmten Verwaltungsaktes. Infolgedessen ist er im Wege der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu verfolgen, vgl. BSG, Urteil vom 03. April 2001 - B 4 RA 22/00 R; entgegen BSG, Urteil vom 05. September 2006 - B 2 U 24/05 R.
3. Zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Klage gegen den angefochtenen Überprüfungsbescheid ist auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen; das ist der Widerspruchsbescheid. Hat der Kläger im Verwaltungsverfahren eine konkrete Überprüfung des bindenden Bescheides nicht geltend gemacht und die Behörde insoweit keine überprüfbare Verwaltungsentscheidung getroffen, so beschränkt sich die gerichtliche Kontrolle darauf, ob die Behörde sich ohne weitere Sachprüfung auf die Bestandskraft des ergangenen Bescheides berufen konnte, vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2001 - B 5 RJ 26/00 R.
Normenkette
SGB X § 44 Abs. 1 S. 1; SGG §§ 96, 99 Abs. 1
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 26. Mai 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Wege eines Überprüfungsantrages gemäß § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) die Überprüfung “sämtlicher Bescheide„ durch den Beklagten.
Die 1956 geborene Klägerin erhält seit dem 1. Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von dem Beklagten.
Mit Schriftsatz vom 12. August 2010 meldete sich der Prozessbevollmächtigte bei dem Beklagten und teilte mit, er vertrete die rechtlichen Interessen der Klägerin und beantragte wörtlich:
“…die Überprüfung sämtlicher bestandskräftiger Bescheide über Grundsicherung nach dem SGB II seit dem 01.01.2006 hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit.„
Der Beklagte forderte den Prozessbevollmächtigten mehrfach, zuletzt mit Schreiben vom 16. August 2010, vergeblich insbesondere zur Benennung der entsprechenden Bescheide auf.
Mit Bescheid vom 1. September 2010 entschied daraufhin der Beklagte:
“…Eine Prüfung der Bescheide in der Sache war nicht vorzunehmen. Trotz nochmaliger Aufforderung wurde nichts vorgetragen, was für die Unrichtigkeit der Entscheidungen sprechen würde. Ein schlüssiger Vortrag diesbezüglich stellt jedoch die Minimalanforderung an die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X (Zehntes Buch Sozialgesetzbuch) dar. Ein solcher Antrag ohne Darlegung etwaiger Anknüpfungspunkte ist als rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme anzusehen. Das Jobcenter muss sich insoweit auf die Bindungswirkung der Bescheide berufen. Es durfte daher von einer Prüfung abgesehen werden.„
Gegen diesen Bescheid legte der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom gleichen Tage (1. September 2010) Widerspruch ein, ebenfalls ohne diesen zu begründen oder konkrete Bescheide zu benennen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 2010 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte zur Begründung insbesondere aus, dass bestandskräftige Bescheide nur unter den Voraussetzungen des § 44 SGB X überprüft werden dürften und dies insbesondere voraussetze, dass bei deren Erlass das Recht nicht richtig angewandt oder von einem falschen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Trotz mehrmaliger Aufforderung sei aber nicht einmal ein konkreter Bescheid benannt noch gar etwas vorgebracht worden, was für die Unrichtigkeit der Entscheidungen sprechen könnte. Damit seien nicht einmal die Minimalanforderungen an die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens erfüllt. Selbst im Widerspruchsverfahren sei eine Konkretisierung nicht erfolgt. Der Beklagte habe daher eine sachliche Prüfung ablehnen und sich auf die Bindungswirkung berufen dürfen.
Hiergegen hat die Klägerin am 18. November 2010 Klage bei dem Sozialgericht Cottbus erhoben.
Im Klageverfahren hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 4. März 2011 ausgeführt, “die Klage richtet sich gegen die nachfolgend benannten Bescheide, jeweils in der Fassung des Überprüfungsbescheides vom 09.01.2010…„. Anschließend hat die Klägerin Bescheide benannt und zur vermeintlichen Rechtswidrigkeit dieser Bescheide vorgetragen. Wegen des Inhalts des Schriftsatzes der Klägerin vom 4. März 2011 im Einzelnen wird auf Bl. 13 bis 17 der Gerichtsakten Bezug genommen.
Einen konkreten Antrag hat die Klägerin ...