Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung. häusliche Pflege. Streit über Gewährung von Pflegegeld anstelle von Pflegesachleistungen. Voraussetzung "Sicherstellung der Pflege". prognostische Prüfung. Nachweispflicht des Pflegegeldbeziehers. kausale Verknüpfung zwischen Leistung und Sicherstellung nicht verlangt. Annahme einer fehlenden Sicherstellung nur bei offenkundiger Überforderung der Pflegeperson. Feststellung von Pflegebedürftigkeit als unselbstständiger Verfahrensschritt zur Vorbereitung der Entscheidung über einen Leistungsanspruch. keine isolierte Feststellung möglich
Orientierungssatz
1. Ist die mit dem Pflegebedürftigen verwandte oder sonst altruistisch motivierte Pflegeperson auch ohne jede finanzielle Anerkennung bereit und in der Lage, die pflegerische Versorgung vollständig zu übernehmen, kann es auf die konkrete Verwendung des Pflegegeldes schlicht nicht ankommen. Der Gesetzeswortlaut verlangt keine kausale Verknüpfung zwischen der Leistung Pflegegeld und der Sicherstellung der Pflege. Pflegegeldbezieher müssen demnach zwar die Sicherstellung der erforderlichen Pflege nachweisen, nicht jedoch die zweckentsprechende Verwendung der Leistungen der Solidargemeinschaft (vgl BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 51/93 = SozR 3-2500 § 57 Nr 4 RdNr 28).
2. Die Erfüllung der Voraussetzung "Sicherstellung der Pflege" ist bereits zu einem Zeitpunkt prognostisch (vgl BSG vom 25.10.1994 - 3/1 RK 51/93 aaO RdNr 16) zu prüfen, in welchem der Pflegebedürftige über das Pflegegeld als Mittel, das ihn hierzu erst in die Lage versetzen soll, noch gar nicht verfügt.
3. Eine fehlende Sicherstellung der Pflege wird letztlich nur dann anzunehmen sein, wenn es hieran ganz eindeutig mangelt und es evident ist, dass die notwendige Pflege nicht sichergestellt ist, etwa wenn eine Pflegeperson zwar benannt wird, aber mit der Pflege offenkundig völlig überfordert ist (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 8.3.2012 - L 27 P 28/11 = juris RdNr 24).
4. Eine isolierte Feststellung der Pflegebedürftigkeit bzw der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Pflegegrad ist rechtlich nicht möglich. Pflegebedürftigkeit ist lediglich eine Tatbestandsvoraussetzung bzw ein nicht selbständig feststellbares Element der in den §§ 36ff SGB 11 vorgesehenen Leistungen, über deren Vorliegen allein die Pflegekasse zu befinden hat. Die Feststellung der Pflegebedürftigkeit ist mithin ein unselbstständiger Verfahrensschritt zur Vorbereitung einer Entscheidung über einen im Gesetz vorgesehenen Anspruch durch die Pflegekasse.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Pflegegeld anstelle von Pflegesachleistungen nach dem Pflegegrad 2 und wendet sich gegen eine Leistungsaufhebung.
Der unter der Betreuung seiner Ehefrau stehende und bei der Beklagten pflegepflichtversicherte, 1953 geborene Kläger beantragte am 26. Mai 2017 die Gewährung von Pflegegeld. Das auf Veranlassung der Beklagten eingeholte Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) vom 14. September 2017 erbrachte unter den pflegebegründenden Diagnosen „Andere psychische Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns oder einer körperlichen Krankheit“ und Hirninfarkt sowie Grand-Mal-Epilepsie, Dysarthrie und leichte Aphasie als Folge eines Mediainfarktes rechts, diabetische Polyneuropathie, Agoraphobie, Anpassungsstörung und Diabetes mellitus seit 2001 als weitere Diagnosen einen beim Kläger seit dem 1. Mai 2017 bestehenden Pflegegrad 2. Laut dem Gutachten war seine Ehefrau/Betreuerin die Pflegeperson. Er habe in der Wohnung kein Wasser und gehe daher zweimal wöchentlich beim Rehasport duschen. Die Küche sei aufgrund von zugestellten Wegen nicht mehr betretbar, daher könnten keine verderblichen Lebensmittel gekauft werden. Es bestehe laut Angaben des Klägers eine Einschränkung der Selbständigkeit. Hilfestellungen seien in den Bereichen der Selbstversorgung, Hauswirtschaft und den Aktivitäten außerhalb der Häuslichkeit erforderlich. Die Gutachterin beschrieb die Wohnsituation wie folgt:
„Der Antragsteller lebt in Gemeinschaft mit seiner Ehefrau. Er wohnt in einem Mehrfamilienhaus in einer 2,5-Raum-Wohnung im 2. Obergeschoss. Vor der Haustür sind mehrere Stufen zu überwinden. Ein Aufzug ist nicht vorhanden. Die Wohnung wird mit einer Zentralheizung beheizt. Die Wohnung ist ausgestattet mit einem Bad mit WC, Waschbecken und Badewanne. Die Wohnung ist kaum zu betreten. Die Wohnungstür lässt sich zum Viertel öffnen. Der Flur ist max. 0,5 m passierbar. Anschließend Stapel bis zur Decke mit Kleidung, Schuhen, Papieren, Gegenständen, Waschmaschine. Matratze. Nach Angaben der anwesenden Personen befindet sich hinter dem Stapel das Wohnzimmer, ein halbes Zimmer sowie die Küche -≫ ein Zutritt zu d...