Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenversicherung. Versicherungsfreiheit eines Studenten. Teilzeitbeschäftigung. Beschäftigungsgrenze. Arbeitslosengeld. Anwartschaftszeit. Werkstudentenprivileg. Vorausschauende Betrachtung. Wöchentliche Arbeitszeit. 20-Stunden-Grenze. Vollzeitstudium. Anfertigung der Masterarbeit. Praktikabilitätserwägungen
Orientierungssatz
1. Die regelmäßige Versicherungsfreiheit von Studenten nach § 27 Abs 4 S 1 Nr 2 SGB 3 setzt voraus, dass das Studium Zeit und Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nimmt und der Student damit trotz entgeltlicher Beschäftigung seinem Erscheinungsbild nach Student bleibt, das Studium mithin die Hauptsache, die Beschäftigung die Nebensache ist (vgl BSG vom 11.11.2003 - B 12 KR 24/03 R = SozR 4-2500 § 6 Nr 3).
2. Nach der Entscheidung des BSG vom 22.2.1980 - 12 RK 34/79 = BSGE 50, 25 = SozR 2200 § 172 Nr 14 können Studenten trotz entgeltlicher Beschäftigung versicherungsfrei sein, wenn sie während der Vorlesungszeit nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich arbeiten.
3. Allein die Dauer der wöchentlichen Arbeitsbelastung ist für die Frage der Versicherungspflicht nicht entscheidend. Ebenso ist nicht maßgeblich, wie sehr der einzelne Student tatsächlich durch sein konkretes Studium in der jeweiligen Studienphase zeitlich belastet wird. Eine allgemeine 20-Stunden-Grenze lässt dagegen eine klare Abgrenzung zu. Damit kann bei einer Beschäftigung von mehr als 20 Wochenstunden davon ausgegangen werden, dass diese Beschäftigung das Erscheinungsbild maßgeblich bestimmt, nicht hingegen das Studium.
Normenkette
SGB III § 27 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, § 137 Abs. 1, § 142 Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) und insofern die Frage, ob der Kläger die Anwartschaftszeit erfüllt.
Der 1963 geborene Kläger mit einem Fachhochschulabschluss aus dem Jahr 2006 zum Diplom-Pflegewirt war vom 19. Juli 2009 bis 30. November 2012 bei D GmbH als Entwicklungshelfer beschäftigt. Vom 1. Oktober 2012 bis 31. Juli 2014 war er für ein Vollzeitstudium in den Studiengang Public Health/Epidemiologie an eingeschrieben. Seitens der Hochschule wurde der Studiengang sowohl in Vollzeit (ein Jahr Regelstudienzeit) als auch in Teilzeit (zwei Jahre Regelstudienzeit) angeboten. Das Förderungswerk für rückkehrende Fachkräfte der Entwicklungsdienste förderte das Studium des Klägers mit dem Ziel des Abschlusses Master of Public Health für die Zeit vom 1. Oktober 2012 bis 30. September 2013 als einjähriges Vollzeitstudium. Im Juni 2013 wurde der Kläger zur Masterarbeit zugelassen, für die ausweislich der Studienordnung regelmäßig ein Arbeitsaufwand von 5 Stunden Präsenzzeit und 445 Stunden Selbststudium über eine Dauer von drei (Vollzeit) bzw. sechs (Teilzeit) Monaten veranschlagt war; für die Erstellung der Arbeit wurde dem Kläger seitens der Hochschule die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2013 vorgegeben. Am 28. April 2014 schloss der Kläger den Studiengang mit dem entsprechenden Zeugnis über die Prüfung erfolgreich ab. Das D stellte den Kläger befristet ab dem 1. September 2013 als teilzeitbeschäftigten Mitarbeiter beim D-G ein (Arbeitsvertrag vom 20. August 2013), und zwar aufgrund des späteren Aufhebungsvertrages vom 20. März 2014 bis zum 30. April 2014. Die Arbeitszeit betrug 50 Prozent der tariflichen Arbeitszeit.
Der Kläger meldete sich am 21. Juli 2014 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg. Mit Bescheid vom 3. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab mit der Begründung, der Kläger habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, weil er nicht mindestens zwölf Monate (360 Kalendertage) in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe.
Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin (SG) den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger antragsgemäß vom 1. August 2014 bis 9. Januar 2015 (sodann Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung) Alg zu gewähren. Zur Begründung heißt es, sämtliche Leistungsvoraussetzungen, insbesondere die Anwartschaftszeit, seien für die Zahlung von Alg im streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt. Zunächst sei innerhalb der Rahmenfrist die Zeit der Beschäftigung beim Entwicklungsdienst vom 21. Juli bis zum 30. November 2012 als Versicherungspflichtzeit zu berücksichtigen. Ferner habe der Kläger vom 1. September 2013 bis zum 30. April 2014 trotz seines Studiums in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis beim D gestanden. Zwar seien Studenten während der Dauer ihres Studiums grundsätzlich versicherungsfrei. Indes genüge für die Versicherungsfreiheit nicht der formale Studentenstatus infolge der Immatrikulation, sondern es sei daneben erforde...