Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte. analoge Anwendung des Kaufrechts ab 1.1.2000. Zulässigkeit von Retaxierungen. keine unmittelbare Abgabe von Arzneimitteln und Auswahl der Apotheke durch Vertragsarzt

 

Orientierungssatz

1. Bei der Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte seit dem 1.1.2000 gilt Kaufrecht nicht unmittelbar, sondern in analoger Anwendung des § 433 BGB.

2. Taxberichtigungen/Retaxierungen sind grundsätzlich auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstellt, dass es zB an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelt, ein Medikament nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst wird oder unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Arzneilieferungsvertrages abgegeben worden ist (vgl BSG vom 3.8.2006 - B 3 KR 6/06 R = SozR 4-2500 § 129 Nr 2 Rd 30). Entsprechendes gilt bei sonstigen Verstößen gegen die Vorgaben des § 129 SGB 5 und die sie konkretisierenden Bestimmungen des Rahmenvertrages, so auch bei einer Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots des § 12 SGB 5, welches durch § 129 Abs 1 SGB 5 eine Konkretisierung in der Arzneimittelversorgung erfahren hat.

3. Die unmittelbare Abgabe von Arzneimitteln vom Apotheker an den Vertragsarzt ist im Rahmen der Arzneimittelversorgung ebenso wenig wie die Auswahl der Apotheke durch den Arzt als Vertreter der Krankenkasse vorgesehen.

 

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juli 2006 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zahlung der Vergütung aus Arzneimittellieferungen, wobei zwischen den Beteiligten (lediglich) streitig ist, ob die Beklagte berechtigt war, gegen diese Forderungen des Klägers mit einem Rückzahlungsanspruch in Höhe von 21.393,98 € aufzurechnen.

Der Kläger ist Apotheker mit Sitz in B und Mitglied des B A-Vereins (BAV). Er beliefert laufend Versicherte der beklagten Krankenkasse mit Arzneimitteln. Im Jahre 2001 gab er in insgesamt acht Fällen auf Grund ärztlicher Verordnung der in H zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärztin für Nervenheilkunde Dr. med. F A S größere Mengen Botulinumtoxin Typ A (Botox®) auf Bestellung dieser Ärztin ab, die er zur Anwendung unmittelbar an die Ärztin übersandte und die diese den Versicherten der Beklagten dann verabreichte. Die Rezepte wurden von der Beklagten zunächst auf entsprechende Abrechnung hin bezahlt. Im Jahre 2002 gab er in elf Fällen auf entsprechende Verordnung derselben Ärztin Botox® auf demselben Wege an Versicherte der Beklagten ab, die ebenfalls zunächst von der Beklagten bezahlt wurden. Bei späteren Überprüfungen beanstandete die Beklagte die Abrechnungen des Klägers aus den Jahren 2001 und 2002, setzte für das Jahr 2001 nach dem 23. Oktober 2002 9.588,00 € und für das Jahr 2002 nach dem 22. April 2003 11805,98 € von laufenden Forderungen des Klägers ab (Retaxierung) und informierte ihn hierüber mit Schreiben vom 19. August 2002 und 18. Februar 2003.

Der Kläger hat nach vorangegangenem außergerichtlichem Schriftwechsel am 30. Dezember 2004 beim Sozialgericht (SG) Berlin Klage erhoben und die Zahlung von 21.393,98 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszins seit dem 1. April 2003 geltend gemacht mit der Begründung, die entsprechende Retaxierung sei unberechtigt erfolgt. Es handele sich bei Botox® um ein kühlkettenpflichtiges Arzneimittel mit eingeschränkter Lieferfähigkeit, bei dem zeitweise Lieferengpässe des Herstellers aufträten. Da er über kleinere Lagerbestände verfüge und der behandelnden Ärztin als besonders zuverlässig bekannt gewesen sei, habe er kurzfristig auf Anfragen von ihr zu Behandlungsterminen der jeweiligen Versicherten aushelfen können, die aus medizinischen Gründen nicht hätten verlegt werden können. Weder habe er damit eine nach § 11 Apothekengesetz (ApoG) verbotene Absprache mit Dr. A S getroffen noch liege ein Verstoß gegen das in § 43 Arzneimittelgesetz (AMG) normierte Versandhandelsverbot vor.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten mit der Begründung, es handele sich augenscheinlich um eine Absprache zwischen Dr. A S und dem Kläger mit dem Ziel, ihm die Verschreibungen der für ihn wirtschaftlich besonders interessanten Botox®-Ampullen zukommen zu lassen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18. Juli 2006 abgewiesen. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs könne nur § 433 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. §§ 69 Satz 3, 129 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sein. Eine Kaufpreisforderung stehe dem Kläger jedoch nicht zu, da von der Beklagten wirksam mit einer Gegenforderung aufgerechnet worden sei. Eine Aufrechnungslage sei gegeben gewesen, denn der Hauptforderung des Klägers stehe eine dem Gegenstand gleichartige Gegenforderung der Beklagten gegenüber. Der Kläger sei zur Rückzahlung der den Taxbeanstandungen zugrunde liegenden Beträgen nach § 812 BGB i.V.m. § 69 Satz 3 SGB V verpflichtet gewesen. Ihm stehe ein Anspruch auf diese Beträge nicht z...

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