Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. polnische Staatsangehörige. fehlender Nachweis eines Daueraufenthaltsrechts bzw anderen materiellen Aufenthaltsrechts. kein Sozialhilfeanspruch. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Zum Leistungsausschluss gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 für eine erwerbsfähige polnische Staatsangehörige, die den behaupteten rechtmäßigen ununterbrochenen Aufenthalt im Inland seit 1988 als Drittstaatsangehörige bzw mit dem Beitritt Polens ab 1.5.2004 als Unionsbürgerin nicht nachgewiesen hat und die über kein anderes materiell-rechtliches Aufenthaltsrecht verfügt.

2. Dem SGB 12 kommt im Bereich der Leistungen für den Lebensunterhalt im Verhältnis zum SGB 2 keine Auffangfunktion zu.

3. Der aus dem Leistungsausschluss gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 resultierende faktische Zwang, ins Herkunftsland zurückkehren oder in einen anderen Mitgliedstaat reisen zu müssen, stellt keine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gem Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG dar.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.02.2017; Aktenzeichen B 4 AS 7/16 R)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt im Berufungsverfahren noch die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) dem Grunde nach für die Zeit vom 01. Juli bis zum 31. Dezember 2007, wobei zwischen den Beteiligten im Wesentlichen streitig ist, ob die Klägerin als polnische Staatsangehörige von diesen Leistungen ausgeschlossen ist.

Die 1969 geborene Klägerin, die polnische Staatsangehörige ist, und der am 1946 geborene, über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügende R. K leben in eheähnlicher Lebensgemeinschaft. Nach von ihnen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren vorgelegten Meldebestätigungen wohnte die Klägerin ab dem 10. März 1988 in der L Straße in B bei bestehender Nebenwohnung in L - Landkreis G - (Meldebestätigung des Landeseinwohneramtes Berlin vom 11. März 1988) und ist die Klägerin am 01. Mai 2004 (so die Meldebescheinigung des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf von B vom 15. Mai 2009) bzw. am 01. Januar 2005 (so laut Anmeldebestätigung des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf vom 15. August 2007) in die im Rubrum angegebene (alleinige) Wohnung umgezogen. R. K wohnte laut Meldebestätigung des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf von B vom 22. Mai 2003 seit dem 01. Mai 2003 in dieser Wohnung (S Straße , B).

Nachdem R. K und die Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten hatten, gewährte der Beklagte für die Zeit vom 01. Juli bis zum 31. Dezember 2007 mit Bescheid vom 6. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2007 Leistungen nur noch für R. K, da er eine für erforderlich gehaltene Freizügigkeitsbescheinigung für die Klägerin nicht erhalten hatte und deren Aufenthaltsstatus als ungeklärt ansah.

Hiergegen haben R. K sowie die Klägerin am 02. November 2007 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben (damaliges Az.: S 95 AS 28121/07) und zur Begründung vorgetragen, dass sie eine eheähnliche Lebensgemeinschaft führten und sich jeweils testamentarisch zum Alleinerben eingesetzt hätten. Im Jahre 1995 hätten sie sich während eines Aufenthaltes der Klägerin in der Bundesrepublik verlobt. Zunächst hätten sie eine Fernbeziehung geführt, sich 2004 dann entschlossen, den Lebensmittelpunkt in B zu nehmen. Die Klägerin habe sich polizeilich unter ihrer jetzigen Adresse angemeldet. Im Zusammenhang mit ihrem Aufenthalt in der Bundesrepublik in der Zeit von 1990 bis 1995 sei ihr eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden. Außerdem habe sie bereits vorher über eine Arbeitserlaubnis verfügt, könne aber nicht mehr sagen, welches Arbeitsamt diese ausgestellt habe. Über Abschriften verfüge sie nicht mehr. Dass die Ausländerbehörde ihre Ausländerakte vernichtet habe, müsse sich der Beklagte zurechnen lassen. Ihren alten, in der Zeit vor 2005 gültigen Reisepass habe sie bei der Aushändigung des neuen bei der Behörde in S/Polen abgeben müssen.

Im Dezember 2008 hat die Klägerin beim Beklagten eine Bescheinigung vom 11. Dezember 2008 gemäß § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) vorgelegt, in der als Zeitpunkt ihrer Anmeldung der 1. Januar 2005 vermerkt ist.

Weiter hat sie im Rahmen eines von ihr eingeleiteten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (Az.: S 115 AS 7068/09 ER bzw. L 29 AS 718/09 ER) einen Versicherungsverlauf der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (vom 12. Mai 2005) übersandt, der für die Zeit vom 01. Mai 1990 bis zum 30. Juni 1992 26 Kalendermonate und für die Zeit vom 01. Januar ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge