Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung: Wiederaufleben einer früheren Witwenrente nach Unterhaltsverzicht aus einer späteren Beziehung. Fiktiver Unterhaltsanspruch. Anerkenntnis vor dem Familiengericht. Prozessuales Risiko. Grobe Unbilligkeit
Orientierungssatz
1. Der durch ein Anerkenntnis im gerichtlichen Verfahren über den Wegfall eines Anspruchs auf Geschiedenenunterhalt erklärte Unterhaltsverzicht der geschiedenen Ehefrau begründet jedenfalls dann das Wiederaufleben eines früheren Anspruchs auf Witwenrente aus einer vorangegangenen Ehe, wenn der Fortbestand des Unterhaltsanspruchs zumindest ungewiss war, da die Unterhaltsberechtigte inzwischen eine neue eheähnliche Lebensgemeinschaft begründet hat.
2. Einzelfall zur Beurteilung des Wiederauflebens eines Witwenrentenanspruchs nach Unterhaltsverzicht aus einer zweiten Ehe (hier: Anspruch bejaht).
Normenkette
SGB VI § 90 Abs. 1; BGB § 1579 Nr. 7; SGB X § 48 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1; ZPO § 307
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. August 2004 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die der Klägerin ab 4. Januar 2001 gewährte Witwenrente ohne Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs zu leisten ist.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe einer wiederaufgelebten Witwenrente.
Die 1934 geborene Klägerin war die Ehefrau des 1932 geborenen und 1959 verstorbenen G M (Im Folgenden: Versicherter). Durch Bescheid vom 30. September 1959 gewährte die Beklagte Witwenrente. Laufender Zahlbetrag war (nach Ablauf des Sterbevierteljahrs) zunächst 150,10 DM. Im September 1969 teilte die Klägerin ihre erneute Heirat mit. Die Beklagte ordnete daraufhin den Wegfall der Rente an und gewährte durch Bescheid vom 13. Oktober 1969 eine Abfindung wegen Wiederverheiratung in Höhe von 18.276,- DM.
Die Klägerin lebte seit März 1980 von ihrem neuen Ehemann, Herrn S, getrennt. Durch Urteil des Amtsgerichts C vom 11. April 1983, rechtskräftig seit 25. Mai 1983, wurde die Ehe geschieden. Eine Unterhaltsregelung wurde zunächst nicht getroffen. Am 20. April 1983 beantragte die Klägerin wieder Witwenrente nach dem verstorbenen Versicherten. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 12. Juni 1984 Witwenrente ab dem 1. Juni 1983 in Höhe von 869,20 DM (Stand: Juli 1984). Anzurechnen sei ein nach der Düsseldorfer Tabelle berechneter Unterhaltsanspruch gegen Herrn S in Höhe von 245,00 DM monatlich, so dass 605,47 DM laufend auszuzahlen seien. Die Klägerin verglich sich daraufhin am 15. April 1985 vor dem Amtsgericht C mit ihrem geschiedenen Ehemann, dass dieser ab November 1983 an sie monatlichen Unterhalt in Höhe von 245,- DM zahle. Die Rente wurde durch Bescheid vom 10. April 1986 neu berechnet.
Mit Schreiben vom 6. Dezember 1994 hörte die Beklagte die Klägerin dazu an, dass sie beabsichtige, die Bescheide vom 12. Juni 1984 und 10. April 1986 mit Wirkung ab dem 1. Februar 1995 aufzuheben. Wegen der geänderten Einkommensverhältnisse ihres geschiedenen Ehemannes bestehe nunmehr ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 1.198,76 DM monatlich. Durch Bescheid vom 16. Dezember 1994 setzte die Beklagte die Rentenzahlungen mit Wirkung ab 1. Februar 1995 auf 20,17 DM herab, mit Bescheid vom 18. April 1995 hob sie die Bescheide vom 12. Juni 1984 und 10. April 1986 mit Wirkung ab dem 1. Februar 1995 auf. Die Klägerin legte gegen beide Bescheide Widerspruch ein und verklagte ihren geschiedenen Ehemann vor dem Amtsgericht T auf Auskunft über seine Einkommensverhältnisse und die Gewährung höheren Unterhalts. Durch Urteil vom 15. April 1998 wies das Amtsgericht T die auf höheren Unterhalt gerichtete Klage ab. Zwar habe die Klägerin an sich Ansprüche in Höhe von monatlich 797,- DM. Dieser Anspruch sei aber wegen grober Unbilligkeit gemäß § 1579 Nr. 7 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ausgeschlossen. Denn die Klägerin unterhalte bereits seit 1985 eine eheähnliche Beziehung zu Herrn T, mit dem sie bis 1989 in einer Wohnung zusammen gelebt habe. Die dann erfolgte räumliche Trennung ändere nichts an dem Erscheinungsbild einer eheähnlichen Beziehung. Herr T halte sich zweimal im Jahr für 2 Wochen bei der Klägerin in B auf, die wiederum 6 1/2 bis 7 Monate im Jahr bei ihm in K lebe. Daneben gebe es gemeinsame Reisen. Die Beklagte half daraufhin durch Bescheid vom 10. September 1998 dem Widerspruch der Klägerin ab und zahlte die Witwenrente nach dem Versicherten weiter, vermindert um 245,- DM anzurechnender Unterhaltsleistungen des geschiedenen Ehemannes.
Nachdem die Klägerin der Beklagten im Februar 2001 mitgeteilt hatte, dass ihr geschiedener Ehemann vor dem Amtsgericht P ein Verfahren zur Aberkennung des Unterhaltsanspruches betreibe, legte sie ein Anerkenntnisurteil desselben Gerichts vom 26. April 2001 (rechtskräftig seit dem 3. Juli 2001) vor, wonach der geschiedene Ehemann ihr seit dem 4. Januar 2001 keinen Unterh...