Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfall. Unfallfolgen. Neufeststellung. Kausalität. Überprüfungsverfahren. Rehabilitation. Hinreichende Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen Gesundheitserstschaden und längerdauernden Unfallfolgen bei einer Neufeststellung von Unfallfolgen

 

Orientierungssatz

1.  Für die Einlegung der Berufung beim Landessozialgericht gilt nicht die einmonatige Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG, sondern die Jahresfrist des § 66 Abs. 1 SGG, sofern für den Zuständigkeitsbereich dieses Gerichts nach § 65a SGG und Rechtsverordnung einer Landesregierung (hier: § 1 der Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr im Land Brandenburg vom 14.12.2006) die elektronische Berufungseinlegung zugelassen ist und darauf nicht in der Rechtsmittelbelehrung hingewiesen worden ist (Anschluss an BSG, Beschluss vom 09.02.2010, B11 AL 194/09 B).

2.  Auf die Neufeststellung von Unfallfolgen nach § 44 Abs. 1 SGB 10 und § 8 Abs. 1 SGB 7 besteht kein Anspruch, wenn die  haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheitserstschaden und längerdauernden Unfallfolgen, die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilen ist, nicht hinreichend wahrscheinlich ist. Die Neufeststellung von persistierenden Beschwerden in verschiedenen Bereichen des Haltungs- und Bewegungsapparates und Mydriasis an einem Auge ist dementsprechend zu versagen, wenn das Gericht es nicht für hinreichend wahrscheinlich ansieht, dass diese Beschwerden noch oder wieder die Folge der vor über zehn Jahren im Erstfeststellungsbescheid als abgeklungene Unfallfolgen angesehenen Prellungen am Thorax, an Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule sowie einer Kopfprellung mit Platzwunde sind.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. November 2009 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Neufeststellung von Unfallfolgen und die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der geborene Kläger erlitt als Eisenbahnbediensteter am 06. Februar 1976 gegen 12.00 Uhr einen Arbeitsunfall, indem er beim Verladen von Gleisschwellen von einem Eisenbahnwaggon aus mehr als drei Metern Höhe rückwärts auf den Boden fiel. Der Kläger wurde ins St.-Krankenhaus eingeliefert. Dort stellte der Durchgangsarzt Dr. F ausweislich des Durchgangsarztberichts nach der am Unfalltag um 12.15 Uhr vorgenommenen Untersuchung fest, dass sich am Hinterkopf rechts eine etwa zwei cm große Platzwunde befunden habe, die Pupillen leicht erweitert seien und schwach auf Licht reagierten. Der Kläger sei benommen und das Bewusstsein getrübt. Die Ansprechbarkeit sei ebenfalls gestört. Es bestünden keine sichtbaren neurologischen Ausfälle. Am Thorax ventral bestehe eine starke Druckschmerzhaftigkeit sowie ein Thoraxkompressionsschmerz ohne sichtbare Verletzungen. Am Übergang von der Brustwirbelsäule (BWS) zur Lendenwirbelsäule (LWS) bestehe eine starke Druckschmerzhaftigkeit ohne Hautverletzungen und Schwellung. Die Röntgenaufnahmen hätten keinen sicheren Hinweis für frische Knochenverletzungen ergeben. Der Durchgangsarzt diagnostizierte multiple Prellungen an Thorax, BWS und LWS, Commotio cerebri mit Hinterkopfplatzwunde. Der weitere Behandlungsverlauf wird unter anderem durch folgende ärztliche Äußerungen dokumentiert:

- Nachschauberichte vom 13. Februar 1976 (Dr. F), 20. Februar 1976 (Dr. N; Röntgenbefund: “Re. Schulter in 2 E.: Kein pathologischer Befund am Schultergelenk. Kein Anhalt für Fraktur oder Luxation. HWS in 2 E.: Unauffällig konturierte u. strukturierte Wirbelkörper. Kein Anhalt für traumat. Veränderungen. Sternum-Spezial-Aufn.: Keine Fraktur.„), 27. Februar 1976 (Dr. N), 08. März 1976 (Dr. N) nebst Augenarztbericht vom 05. März 1976 (“Objektiv erkennbare Krankheitserscheinungen: Keine„), 15. März 1976 (Dr. N), 02. April 1976 (Dr. N), 08. November 1976 (Dr. N), 13. Dezember 1976 (Dr. N) mit Röntgenuntersuchung (“Im Bereich der ges. dargestellten WS-Abschnitte vielleicht geringe Verspannung in Fehlhaltung mit flacher links-rechtskonvexer Skoliose lumbodorsal und etwas mangelhafter Lendenlordose. Keine pathol. Form- oder Strukturveränderungen der WK und Fortsätze.„),

- Berichte des Facharztes für Chirurgie Dr. N vom 06. Mai 1976 (“Eindeutige objektivierbare Befunde liegen nicht mehr vor.„) und 10. Mai 1976,

- fachärztlicher Bericht der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik F am M vom 17. Mai 1976,

- Stellungnahmen des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. F aus April 1976, vom 17. Dezember 1976 und 06. April 1977 (“Die in meinem Befund vom 17.12.1976 beschriebene Mydriasis und Verdacht auf Klivuskantensyndrom bzw. Hämatom entfällt.„),

- Fachärztliches Gutachten des Facharztes für Nerven- und Gemütsleiden Dr. K vom 07. Februar 1977.

Die Beklagte erkannte hiernach mit Bescheid vom 15. Februar 1977 als bis dahin abgeklungene Unfallfolgen Pre...

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