Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. eheähnliche Gemeinschaft. Wohngemeinschaftsformen. Zusammenleben mit behindertem Mensch. Pflegeleistungen. freundschaftliche Beziehung
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Definition der eheähnlichen Gemeinschaft iS von § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst b SGB 2 kann auf die Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfG vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 = BVerfGE 87, 234) zur Berücksichtigung von Einkommen von Partnern einer eheähnlichen Gemeinschaft im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nach dem Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilferecht zurückgegriffen werden. Hiernach reicht allein das Vorliegen einer - auch durch freundschaftliche Beziehungen - geprägten Wohn-/ Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft zur Begründung einer eheähnlichen Gemeinschaft nicht aus. Vielmehr ist das Bestehen einer über die Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehenden und die eheähnliche Gemeinschaft prägenden Verantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft im Streitfall durch die Gesamtwürdigung der den Einzelfall kennzeichnenden Hinweistatsachen bzw Indizien festzustellen, entscheidend ist das Gesamtbild.
2. Der Begriff der "Wohngemeinschaft" erfasst nicht nur die Zweck-Wohngemeinschaft, bei der das Zusammenleben mehr oder minder unabhängig von der konkreten Person in der gemeinsamen Wohnung zur Teilung der Mietkosten erfolgt, sondern vielfältige Wohn- und Lebensformen, die - je nach weltanschaulicher Prägung der die Wohnung teilenden Personen und/oder der zwischen ihnen bestehenden freundschaftlichen Beziehungen - eine getrennte oder eine gemeinsame Haushaltsführung bis hin zum gemeinsamen Wirtschaften in der Form des "Alles teilen" wie auch gemeinschaftliche Freizeitaktivitäten umfassen.
3. Umstände, wie langjährige Dauer des Zusammenwohnens, gemeinsamer Umzug und Bestreitung der Haushaltskosten unter Berücksichtigung der jeweiligen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, charakterisieren die Wohn-/ Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft unter befreundeten Personen nur als über eine schlichte Zweck-Wohngemeinschaft hinausgehend. Ohne die Feststellung weiterer Umstände, die einen Einstandswillen für alle Wechselfälle des Lebens zu erkennen geben, erlauben sie noch nicht den wesentlich weitergehenden Schluss auf das Vorliegen einer Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft.
Tenor
Die Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 03. April 2006 verurteilt, dem Kläger für den Leistungszeitraum vom 01. Januar 2005 bis zum 31. Mai 2005 Arbeitslosengeld II in Höhe von 595,00 EUR unter Anrechnung der bereits erfolgten Zahlungen zu gewähren.
Die Beklagte hat die dem Kläger entstandenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt höhere laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 01. Januar 2005 bis zum 31. Oktober 2005.
Der 1949 geborene, erwerbsfähige Kläger, dessen Ehe im Jahr 2000 geschieden worden war, ist von Beruf Fotograf und seit Oktober 2000 arbeitslos. Nach Erschöpfung seines Anspruches auf Arbeitslosengeld am 13. Juni 2001 bezog er Arbeitslosenhilfe (Alhi), zuletzt iHv 672,19 EUR monatlich (wöchentlicher Leistungssatz 155,12 EUR x 13 : 3). Die bei der Beantragung von Alhi jeweils im Zusatzblatt zur Bedürftigkeitsprüfung gestellte Frage, ob er mit einem Ehegatten, Lebenspartner oder einem Partner in einer Haushaltsgemeinschaft lebe, hatte der Kläger stets verneint. In den Jahren 2000/2001 lebte er mit seinem jüngsten Sohn (geboren 1982) in einer Laube in B, die er seit 1991 gepachtet hatte. Im November 2001 zog er mit seinem Sohn und der 1950 geborenen Frau A G (G), mit der er seit dem gemeinsamen Besuch der Oberschule in B in Kontakt geblieben war, in eine rollstuhlgeeignete 4-Zimmer-Wohnung im 13. Obergeschoss des Hauses W in B. Frau G war auf Grund ihrer Erkrankung (Multiple Sklerose) zu diesem Zeitpunkt bereits auf die Benutzung eines Rollstuhls und auf die Unterstützung durch Dritte bei aufwändigeren Bewegungsabläufen im Alltag (u.a. Baden und Toilettenbenutzung) angewiesen und benötigte eine ihren besonderen Bedürfnissen entsprechende Unterkunft, da sie in Folge ihrer Scheidung das zuvor gemeinsam mit dem Ehemann bewohnte Haus verlassen musste, jedoch keine Pflegeeinrichtung in Anspruch nehmen wollte. Ihre Tochter befand sich zu dieser Zeit im Studium. Im Dezember 2003 verzogen der Kläger und Frau G, die nunmehr auf einen Elektrorollstuhl angewiesen war, in eine ca. 87,68 m² große 3-Zimmer-Wohnung (Erdgeschoss rechts) in der Cstraße in B. Der zunächst auf beide Bewohner ausgestellte Mietvertrag wurde zum 01. Dezember 2004 auf Frau G als alleinige Hauptmieterin (mit der Erlaubnis zur Untervermietung) umgestellt, damit eine behinderungsgerechte Ausstattung (elektronische Türöffnungen etc) unter finanzieller Beteiligung der Pflegeversicherung erfolgen konnte. Die Mietkosten betrugen insgesamt 565,89 EUR monatlich (Miete 400,00...