Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Wiederaufnahmeklage

 

Orientierungssatz

1. Nach § 179 SGG i. V. m. § 578 Abs. 1 ZPO kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahrens durch Nichtigkeitsklage und durch Restitutionsklage erfolgen. Ziel der Wiederaufnahmeklage ist es, rechtskräftige Entscheidungen durch Gestaltungsurteil wegen schwerster Mängel oder unrichtiger Urteilsgrundlagen zu beseitigen.

2. Hat der Kläger gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt und den Berufungsrechtstreit nach Annahme eines Anerkenntnisses für erledigt erklärt, so ist der frühere Rechtstreit vor dem Sozialgericht nicht durch ein Endurteil abgeschlossen worden, das rechtskräftig geworden wäre. Damit ist eine Wiederaufnahme unzulässig.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Der 1947 geborene Kläger begehrt im Wege des Wiederaufnahmeverfahrens die Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 11. August 2006 - S 29 RJ 1155/01 - unter Weiterführung des sozialgerichtlichen Verfahrens.

Die vor dem Sozialgericht Berlin (SG) am 14. Mai 2001 erhobene, auf die Zahlung einer Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente gerichtete Klage S 29 RJ 1155/01 wies das SG mit Urteil vom 11. August 2006 ab. Im sich anschließenden Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) - L 22 R 1342/06 - unterbreitete die Beklagte dem Kläger im Anschluss medizinischer Ermittlungen mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2009 ein Vergleichsangebot, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Der Bevollmächtigte des Klägers erklärte mit Schriftsatz vom 4. Februar 2010, Eingang beim LSG am 5. Februar 2010, der Kläger nehme das Vergleichsangebot der Beklagten vom 21. Oktober 2009 an und sehe den Rechtsstreit als erledigt an. Das Gericht verfügte am 9. Februar 2010 die Einstellung des Verfahrens nach außerterminlicher Erledigung durch Vergleich. In Ausführung dessen bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. November 2000. Mit Bescheid vom 4. März 2010 bewilligte ihm die Beklagte eine Altersrente.

Mit Schreiben vom 9. März 2010 widerrief der Kläger die Erklärung seines Bevollmächtigten im Hinblick auf die ihm in Rechnung gestellten Kosten sowie den Rentenzahlbetrag. Mit Schreiben vom 12. Juli 2010 nahm er den Widerruf zurück.

Auf den Wiederaufnahmeantrag des Klägers vom 30. April 2013 unter Bezugnahme auf ein von ihm veranlasstes internistisch-umweltmedizinisches Gutachten durch den Arzt Prof. Dr. H vom 29. März 2012 hat sich LSG mit Beschluss vom 27. September 2013 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG verwiesen. Das SG hat die Wiederaufnahmeklage nach Anhörung des Klägers mit Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2016 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es folge zwar nicht der Rechtsauffassung des LSG mit Beschluss vom 21. Oktober 2015 - L 27 R 503/15 B PKH -; die zulässige Wiederaufnahmeklage sei gleichwohl unbegründet, weil die Voraussetzungen für eine solche nicht vorlägen, insbesondere keine “andere Urkunde„ im Sinne des Gesetzes aufgefunden worden sei. Denn das vom Kläger vorgelegte Gutachten sei fast sechs Jahre nach dem Urteil des SG vom 11. August 2006 erstattet worden.

Mit seiner Berufung macht der Kläger geltend, er habe seinerzeit versucht, seinen Prozessbevollmächtigten dazu zu bewegen, das entscheidende Gutachten abzuwarten; jener habe aber gemeint, dass dieses später nachgereicht werden könne. Ihm gehe es um die Vervollständigung des Vergleichs für die Zeit von 2010 bis 2015.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 28. Januar 2016 aufzuheben und die sozialgerichtliche Klage S 29 RJ 1155/01 wieder aufzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Berufung des Klägers, über die die Berichterstatterin entsprechend den vorliegenden Einverständnissen der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG - hat entscheiden können, ist unbegründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid, mit dem das SG die Wiederaufnahmeklage abgewiesen hat, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens richtet sich im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 179 SGG, wonach ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des Vierten Buchs der Zivilprozessordnung (ZPO) wieder aufgenommen werden kann. Nach § 578 Abs. 1 ZPO kann die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Endurteil geschlossenen Verfahr...

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