Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Bewertung der Überlange. Aktivmonate. kein zusätzlicher Zwischenmonat bei Urteil ohne mündliche Verhandlung. kein Stellungnahme-Monat bei Festhalten am Entscheidungstermin. Kosteninteresse des Rechtsanwalts. keine Geldentschädigung. Wiedergutmachung auf andere Weise. kein Feststellungsausspruch bei vorprozessualer Anerkennung der Überlänge durch Entschädigungszahlung. kein Vermögensnachteil bei vorprozessualer Tätigkeit des Rechtsanwalts in eigener Sache. keine Anwendung des § 91 Abs 2 S 3 ZPO. keine Erforderlichkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts für die außergerichtliche Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs. grundsätzliche Zumutbarkeit der Anmeldung der Ansprüche ohne Rechtsanwalt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ob in den Fällen, in denen es im streitgegenständlichen Ausgangsverfahren maßgeblich um auf den Rechtsanwalt übergegangene Kostenerstattungsansprüche aus dem Widerspruchsverfahren geht, eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs 4 GVG im Wege der Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer ausreicht, hängt vom Einzelfall ab.

2. Die von einem sich selbst vertretenden Rechtsanwalt geltend gemachten Kosten für sein Tätigwerden im Rahmen der vorprozessualen Geltendmachung eines eigenen Entschädigungsanspruchs nach § 198 Abs 1 S 1 GVG stellen keinen materiellen Nachteil dar.

 

Orientierungssatz

1. Für die Vorbereitung eines Urteils ohne mündliche Verhandlung ist kein zusätzlicher Zwischenmonat als Aktivitätszeit anzuerkennen.

2. Nach einer Weiterleitung eines Schriftsatzes zur Kenntnis und freigestellter Stellungnahme an den Beteiligten ist kein Stellungnahme-Monat als Aktivmonat anzusetzen, wenn das Ausgangsgericht durch seine Prozessverfügungen (hier Fortschreibung der Verfügung „Entscheidungsfach“) deutlich gemacht hat, dass es seine eigenen Überlegungen zu der Rechtssache abgeschlossen hat und eine weitere Stellungnahme des Beteiligten weder erwartet noch für die Entscheidung als notwendig erachtet.

3. Für die erste außergerichtliche Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs für ein überlanges Gerichtsverfahren bei einem überschaubaren Sachverhalt und weitgehend geklärter obergerichtlicher Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs ist für einen vernünftigen Laien die Heranziehung eines Rechtsanwaltes nicht erforderlich. Vielmehr ist es einem vernünftigen Laien zuzumuten - wie bei einer ersten Geltendmachung eines Anspruchs gegenüber seiner Versicherung - sich ohne anwaltliche Hilfe direkt an das beklagte Land, ggf über das Ausgangsgericht, zu wenden.

4. Hat der Beklagte im vorprozessualen Entschädigungsverfahren die Unangemessenheit der Verfahrensdauer anerkannt und eine Geldentschädigung gezahlt, ist der Anspruch auf Wiedergutmachung in sonstiger Weise als kleiner Entschädigungsanspruch erfüllt.

5. Die Regelung des § 91 Abs 2 S 3 ZPO kann für die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts in eigener Sache nicht herangezogen werden (vgl BGH vom 6.5.2004 - I ZR 2/03 = NJW 2004, 2448).

6. Zum Anspruch auf Zahlung von Rechtsanwaltskosten für die vorgerichtliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs genauso auch LSG Berlin-Potsdam vom 17.2.2021 - L 37 SF 55/20 EK AS.

 

Normenkette

GVG § 198 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 Sätze 1-2, Abs. 6 Nr. 1, § 200 S. 1, § 201 Abs. 1, § 2 S. 1; ZPO § 91 Abs. 2 S. 3, § 167; BerHG § 9 Abs. 2; RVG § 1 Abs. 2 S. 3, § 14 Abs. 1 Sätze 1-2, 4; BGB § 1835 Abs. 3; SGB X § 63 Abs. 1 S. 1; SGG §§ 90, 99 Abs. 3 Nr. 3, § 202 S. 2

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Landessozialgericht (LSG) zuletzt unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1637/17 geführten Verfahrens.

Dem beendeten Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:

04.11.2014

Eingang der gegen das Jobcenter Pankow (JC) gerichteten Klageschrift des Klägers vom 01.11.2014 bei dem Sozialgericht B (SG) mit dem Begehren, das JC unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbescheides vom 02. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2014 zu verpflichten, dem Kläger nach Forderungsübergang gemäß § 9 des Beratungshilfegesetzes (BerhG) weitere Kosten des Widerspruchsführers in den Verfahren gegen die Bescheide vom 27. Dezember 2013 i.H.v. 380,80 € zu erstatten

14.11.2014

·Registrierung unter S 59 AS 25977/14·Betätigung des Klageeingangs an den Kläger·Weiterleitung der Klageschrift an das JC mit Anforderung der Klageerwiderung sowie der Verwaltungsakten binnen einer Frist von 1 Monat·Streitwertfestsetzung·Interne Wiedervorlage (WV) 6 Wochen

15.01.2015

Eingang der sechsseitigen Klageerwiderung vom 13.01.2015 nebst Akten

02.02.2015

Weiterleitung an den Kläger zur Stellungnahme binnen 1 Monats

09.02.2015

Eingang der Stellungnahme des Klägers vom 05.02.2015

20.02.2015

·Weiterleitung an das JC zur Kenntnisnahme·Verfügung i...

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