Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende für EU-Ausländer. kein Anspruch auf vorläufige Leistungsbewilligung im Hinblick auf anhängiges Verfahren beim EuGH. Vereinbarkeit mit Europarecht. Gleichbehandlungsgrundsatz. Sozialhilfeleistungen. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit. Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen. Einstweilige Anordnung
Orientierungssatz
Ein Ausländer, dessen Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zwecke der Arbeitssuche ableitet, ist von den Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Das gilt auch für Angehörige von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, da ernsthafte Zweifel an der Europarechtswidrigkeit des in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 geregelten Leistungsausschlusses nicht bestehen.
Normenkette
EGRL 38/2004 Art. 24 Abs. 2; EGV Art. 39 Abs. 2; EG-VO 883/2004 Art. 3 Abs. 3, Art. 4, 70 Abs. 2, 4; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 40 Abs. 2 Nr. 1; SGB III § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Februar 2014 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das Verfahren nicht zu erstatten.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt M G, R, B, beigeordnet.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Februar 2014 ist begründet. Das Sozialgericht hat den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu Unrecht vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit ab Zustellung des Beschlusses (18. Februar 2014) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - zu gewähren.
Der rumänische Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§§ 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO -).
Ein Anordnungsanspruch aus den §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 453) scheitert bereits daran, dass der Antragsteller dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unterliegt.
Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgenommen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Ein Aufenthaltsrecht ergibt sich nicht aus § 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU). Gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. Gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU u. a. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitssuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen (Nr. 1) oder Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige) (Nr. 2). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Der Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge 2009 zur Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Er ist weder selbständig tätig noch übt er eine abhängige Beschäftigung aus. Daher verbleibt allein ein Recht zum Aufenthalt zur Arbeitssuche, welches nicht zum Bezug von Leistungen nach dem SGB II berechtigt.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen ausgenommen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er ein anderes als dem Zweck der Arbeitsuche dienendes Aufenthaltsrecht hat.
§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist als geltendes Recht auch anzuwenden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - GG). Der Senat ist von der Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1. Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht überzeugt. Nur eine solche Überzeugung könnte ihn ausnahmsweise berechtigen, dieses formelle Gesetz nicht anzuwenden. Anders als in Verfahren nach § 86b Abs. 1 SGG, bei denen ggf. eine Entscheidung aufgrund einer Interessenabwägung zu treffen ist (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 13. März 1996 - 7 NC 147.95, NVwZ 1996, 1239; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 10. März 2010 - 12 ME 176/08, NuR 2010, 290, und vom 5. Januar 2011 - 1 MN 178/10, BauR 2010, 990), sind die Gerichte im Rahmen des § 86b Abs. 2 SGG grundsätzlich nicht berechtigt, formelle Gesetze als unwirksam zu behandeln. Dies gilt insbesondere, wenn das Gericht lediglich Zweifel an der Vereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht hat (a. A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. August 2011 - L ...