Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrentenanspruch. Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer Versorgungsehe. plötzlicher Tod eines chronisch Kranken. Beweislast. voreheliche Lebensgemeinschaft
Orientierungssatz
1. Die Dauer einer vorehelichen Lebensgemeinschaft kann im Rahmen einer Prüfung der Versorgungsehe iS von § 46 Abs 2a SGB 6 sowohl ein Argument für als auch gegen das Vorliegen einer solchen sein (vgl LSG Essen vom 31.8.2007 - L 13 R 3/07 -); maßgebend sind auch in diesem Zusammenhang die Umstände des Einzelfalles (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 20.3.2007 - L 16 R 1110/05 -).
2. Die Möglichkeit einer typisierenden Betrachtungsweise im Rahmen der Vermutungswiderlegung schließt nicht aus, dass die Witwe bzw der Witwer im Rahmen einer Darlegungsobliegenheit zur Widerlegung der Vermutung individuelle Gründe vorträgt und nachweist (vgl BSG vom 28.3.1973 - 5 RKnU 11/71 = BSGE 35, 272 = SozR Nr 2 zu § 594 RVO).
3. Eine gewichtige Bedeutung im Rahmen der Gesamtbetrachtung der tatsächlichen Umstände, ob eine Versorgungsehe vorliegt, ist idR dem Gesundheits- bzw Krankheitszustand des Versicherten beizumessen (vgl LSG Berlin-Potsdam vom 17.5.2006 - L 17 R 2024/05, LSG Berlin-Potsdam vom 31.3.2007 - L 16 R 1487/06, LSG Schleswig vom 21.3.2007 - L 8 R 112/06 und LSG Darmstadt vom 30.11.2007 - L 5 R 133/07). Ein die Vermutung widerlegender besonderer Umstand ist anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten unvermittelt eingetreten ist. Denn in diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Versorgungsehe geschlossen werden sollte. Unvermittelt eingetreten ist der Tod insbesondere bei einem Unfall, aber auch bei einem Verbrechen; gleiches gilt für den Tod infolge einer schweren Erkrankung, die plötzlich aufgetreten ist und schnell zum Tode geführt hat. Eine plötzliche Erkrankung im vorgenannten Sinne liegt vor, wenn bei unbekannter Herzerkrankung der Tod plötzlich durch einen Herzinfarkt in einem Lebensalter eintritt, in welchem der Tod im allgemeinen noch nicht einzutreten pflegt (vgl LSG Schleswig vom 21.3.2007 - L 8 R 112/06).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 05. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt eine Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes.
Die 1941 geborene Klägerin ist Witwe des 1939 geborenen und 2005 verstorbenen G S (nachfolgend: Versicherter). Sie lebte gemeinsam mit dem Versicherten in dessen Haus in einer eheähnlichen Gemeinschaft und war dort seit 1992 gemeldet. Der Versicherte litt an einer chronischen Niereninsuffizienz, einem insulinpflichtigen Typ 2-Diabetes mellitus sowie an einer schwerwiegenden coronaren Herzerkrankung mit einer deutlichen Einschränkung der Pumpleistung des Herzens; seit 1999 hatte er einen Herzschrittmacher.
Im Oktober 2004 heirateten die Klägerin und der Versicherte.
Nachdem der Versicherte im 07. August 2005 im V Klinikum in H eingeliefert und noch am selben Tage auf die Intensivstation des V Klinikums in N verlegt worden war, verstarb er im August 2005 an den Folgen eines Multiorganversagens im Zusammenhang mit einer Sepsis.
Am 16. August 2005 stellte die Klägerin einen Antrag auf Hinterbliebenenrente. Sie legte eine Bescheinigung des den Versicherten behandelnden Nephrologen, des Diplom-Mediziners P vom 15. November 2005 vor, der zufolge ein frühzeitiger Tod des Versicherten nicht absehbar gewesen sei, weil sowohl der Diabetes mellitus als auch der arterielle Hypertonus stabil eingestellt gewesen seien. Die Klägerin trug vor, für sie und den Versicherten sei es nach über 20 Jahren ihrer eheähnlichen Gemeinschaft wichtig gewesen, den gemeinsamen Lebensabend mit der Hochzeit zu “krönen„, da ihnen dieses in den vergangenen Jahren auf Grund verschiedener Umstände nicht vergönnt gewesen sei.
Mit Bescheid vom 06. Januar 2006 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, dass die Ehe entgegen den Anforderungen des § 46 Abs. 2a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht ein Jahr gedauert habe und besondere Umstände, welche die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe widerlegen würden, auch unter Berücksichtigung dessen, dass sie mit dem Versicherten seit über 20 Jahren in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft gelebt hätte, hier nicht vorliegen würden.
Den hiergegen am 26. Januar 2006 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09. Oktober 2006 zurück.
Am 06. November 2006 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben.
Zur Begründung hat sie ergänzend vorgetragen, sie sei seit dem Jahre 1968 mit ihrem Mann zusammen gewesen und habe mit ihm mehrere Gaststätten betrieben. 1976 hätten sie gemeinsam ein Haus gekauft, für das jedoch nur ihr Mann als Eigentümer eingetragen worden sei. Über die gemeinsam...