Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht bzw bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Sozialhilfe. Überbrückungsleistungen. fehlender Ausreisewille. Leistungen für einen längeren Zeitraum. Vorliegen eines Härtefalles
Leitsatz (amtlich)
1. Besondere Umstände und eine besondere Härte im Sinne des § 23 Abs 3 S 6 SGB XII liegen nur vor, wenn über die mit dem Leistungsausschluss typischerweise verbunden Härten hinaus individuelle Besonderheiten hinzutreten. Insbesondere sind Fälle als Härtefall denkbar, in denen eine Ausreise innerhalb eines Monats für einen vorübergehenden Zeitraum nicht möglich oder nicht zumutbar ist.
2. Allein der tatsächliche Aufenthalt im Bundesgebiet oder die Nichtergreifung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durch die Ausländerbehörde begründen keinen Härtefall im Sinne des § 23 Abs 3 S 6 SGB XII.
3. Die Gewährung von Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs 3 S 3 SGB XII setzt keinen Ausreisewillen voraus.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2019 geändert. Der Beigeladene wird dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 29. Dezember 2016 bis zum 28. Januar 2017 Überbrückungsleistungen zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Der Beigeladene hat der Klägerin ¼ ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von existenzsichernden Leistungen für den Zeitraum vom 29.12.2016 bis zum 31.07.2017.
Die am 1970 geborene, geschiedene Klägerin ist rumänische Staatsangehörige und reiste nach ihren Angaben im Sommer 2015 zum Zwecke der Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach ihren Angaben lernte die Klägerin in der Nachbarschaft ihres in der Gallee in Berlin wohnenden, volljährigen Sohnes etwa im August 2015 den am 1931 geborenen Herrn M A (nachfolgend „A“) kennen, zog in dessen Wohnung unter der im Rubrum genannten Anschrift in Berlin ein und meldete sich am 18.08.2015 bei der Meldebehörde unter der Wohnschrift des A an. A bezog unter anderem im hier streitigen Zeitraum eine Altersrente und aufstockend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) vom Sozialhilfeträger.
Die von A an den Vermieter zu zahlende Bruttowarmmiete für die Wohnung belief sich im hier streitigen Zeitraum auf monatlich 527,45 €. Ein Untermietvertrag wurde zwischen A und der Klägerin nicht abgeschlossen. Die Klägerin zahlte im gesamten hier streitigen Zeitraum keine Untermiete an A.
Die Klägerin verfügte jedenfalls zu Beginn des hier streitigen Zeitraums über ein Girokonto, welches ausweislich der eingereichten Kontoauszüge im Zeitraum vom 01.12.2016 bis zum 10.02.2017 stets einen negativen Kontostand auswies. Für den Zeitraum ab dem 10.02.2017 liegen keine Kontoauszüge zu diesem Konto vor, da das Konto nach Angaben der Klägerin zu diesem Zeitpunkt geschlossen und ihre Bankkarte eingezogen wurde.
Am 21.12.2015 meldete die Klägerin zum 01.01.2016 ein Gewerbe unter ihrer Wohnschrift an. Nachdem der Sozialhilfeträger Kenntnis vom Einzug der Klägerin bei A erhalten hatte, bewilligte er dem A für den Zeitraum ab September 2016 lediglich noch Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII unter Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung in Höhe von (etwa) der Hälfte der tatsächlichen Aufwendungen (Bescheid vom 10.08.2016). Mit Bescheid vom 30.09.2016 bewilligte der Sozialhilfeträger A Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII für den Zeitraum vom 11.04.2016 bis 30.09.2016 in Form einer Beihilfe in Höhe von monatlich 122,00 €.
Im November 2016 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und teilte mit, dass sie den A pflege, dass der Sozialhilfeträger bei den Grundsicherungsleistungen des A einen von ihr zu tragenden Mietanteil festgesetzt habe und dass sie keinerlei Mittel habe, diese Summe aufzubringen. Anfang Dezember 2016 trug die Klägerin ergänzend vor, dass sie für die Pflege des A von ihm das Pflegegeld in Höhe von monatlich 122,00 € erhalte. A sei bereit, mit ihr einen Arbeitsvertrag abzuschließen. Anfang Februar 2017 reichte die Klägerin ein auf den 27.01.2017 datiertes und an die Minijob-Zentrale gerichtetes Formular ein, mit dem die Klägerin für den Zeitraum vom 01.04.2016 bis zum 31.12.2017 als bei A beschäftigte Haushaltshilfe unter Angabe eines monatlichen Arbeitsentgelts in Höhe von 200,00 € bei der Minijob-Zentrale angemeldet wurde. Die Minijob-Zentrale bestätigte in der Folgezeit diese vorgenommene Meldung zur Sozialversicherung. Ferner reichte die Klägerin eine Einkommensbescheinigung, mit der ein im Zeitraum vom 01.04.2016 bis zum 31.12.2017 bestehendes Beschäftigungsverhältnis als ...