Entscheidungsstichwort (Thema)

Kriegsopferversorgung. Überprüfungsverfahren. Versorgungsanspruch. Blindheit als Schädigungsfolge. unmittelbare Kriegseinwirkung. schlechte Versorgung. Mangelernährung. schädigende Einwirkung auf die Leibesfrucht. Blasen- und Nierenbeckenentzündung der Mutter während der Schwangerschaft. Zusammenhang mit Umsiedlung aus Bessarabien. Einnahme des Sulfonamids Prontosil

 

Orientierungssatz

1. Der Begriff der unmittelbaren Kriegseinwirkung im Sinne des § 5 BVG ist eng auszulegen. Zustände, denen alle Bevölkerungskreise für längere Zeit ausgesetzt waren, wie Mangelzustände hinsichtlich der Ernährung und Versorgung mit Arzneimitteln oder ungenügenden Unterkunftsverhältnisse und dadurch bedingte erhöhte Ansteckungsgefahr, fallen nicht unter diesen Begriff.

2. Als Opfer des Krieges ist auch eine solche Person anzusehen, die durch kriegsbedingte und im Übrigen als rechtserheblich anerkannte Schädigungstatbestände als Leibesfrucht so betroffen worden ist, dass sich bei ihr nach der Geburt Gesundheitsstörungen als Folgen der Schädigung zeigen (Anschluss an BSG, Urteil vom 24. Oktober 1962 - 10 RV 583/59 -).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 7. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kriegsopferversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der Kläger wurde im siebten Schwangerschaftsmonat 1945 in C geboren. Er ist beidseitig blind. Dabei wurde auf dem linken Auge ein Schielen bereits während des zweiten Lebensjahres des Klägers bemerkt. 1952 wurde linksseitig ein Grauer Star festgestellt und operiert, rechtsseitig wurde eine Sehschwäche bestätigt. 1956 wurde nach weiterer Verschlechterung des Sehvermögens des rechten Auges ein Grauer Star auch dort festgestellt und operiert. Nach einer Nachoperation 1956 rechts entstand ein Sekundärglaukom (Grüner Star), das trotz zweimaliger Operation zur Erblindung führte.

Bereits 1991 beantragte der Kläger bei dem Beklagten eine Beschädigtenversorgung nach dem BVG. Er gab an, dass sich seine Mutter hochschwanger auf der Flucht befunden habe. Sie habe dabei unter anderem einen schweren Bombenangriff auf Potsdam miterlebt, weswegen es zur Frühgeburt des Klägers gekommen sei. Ärztliche Untersuchung und medizinische Behandlung seien nicht möglich gewesen. Aufgrund der schlechten Versorgung mit Lebensmitteln sei er nur mühsam mit Ersatzstoffen am Leben erhalten worden. Im Verwaltungsverfahren gingen eine handschriftliche Erklärung und eine maschinengeschriebene Erklärung der Mutter des Klägers, L S, vom 20. April 1991 und vom 10. Juni 1991 bei dem Beklagten ein. Sie erklärte darin, im fünften Schwangerschaftsmonat aus dem Warthegau geflohen zu sein. Dabei sei sie an einer schweren Grippe erkrankt gewesen und habe die Flucht auf einem offenen Wagen bei -25° erlebt. Auch nach Unterbringung in einem Dorf in B habe sie jede Nacht Fliegeralarm erlebt. Bei einem Bombenangriff auf Potsdam und Umgebung - eine Bombe sei sogar in unmittelbarer Nähe ihres Hauses eingeschlagen - sei ihr Sohn zur Welt gekommen. Dabei sei er noch nicht ausgewachsen gewesen und habe sich aufgrund der Umstände und da es nichts zu essen gegeben habe, nicht entwickeln können. Als ihr Sohn zwei Jahre alt gewesen sei, habe sie festgestellt, dass er auf dem linken Auge nichts habe sehen können. Er sei dann zur Schule gekommen und habe auf dem linken Auge ganz schlecht gesehen. Operationen hätten nichts geholfen. Der Arzt Dr. R aus B habe erklärt, es seien Kriegsschäden an den Augen und dass sich die Augen durch die schlechte Ernährung nicht voll hätten entwickeln können.

Der Beklagte forderte beim Kreiskrankenhaus B Krankengeschichten über stationäre Aufenthalte des Klägers vom 24. November bis 8. Dezember 1951, vom 15. März bis 14. April 1956, vom 18. Juni bis 14. August 1956 und vom 15. September bis 18. Dezember 1956 an. Nach Eingang weiterer Unterlagen - unter anderem eines ärztlichen Untersuchungsbefundes der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. P vom 24. Februar 1992 und eines Arztbriefes des Städtischen Krankenhauses vom 2. Mai 1975 über eine stationäre Behandlung des Klägers vom 5. bis 23. April 1975 - holte der Beklagte ein augenärztliches Gutachten der Fachärztin für Augenheilkunde Dr. V vom 14. April 1993 ein, das diese nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstellte und in dem sie für ihr Fachgebiet eine Aphakia operata rechts mit Nachstar und Sekundärglaukom, eine Aphakia operata links mit Amblyopie links, einen Zustand nach perforierender Augenverletzung links 1975 sowie eine Amaurose beidseits diagnostizierte. Der Grad der Behinderung betrage 100. Inwiefern eine intrauterine Fruchtschädigung (dann aber bereits im zweiten bis dritten Embryonalmonat und nicht erst im siebten Schwangerschaftsmonat) oder eine mangelnde Ernährung im Säuglings- und Kleinkindalter auf die Linsenentwicklung ...

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