Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessung des GdB bei Diabetes mellitus. Berücksichtigung des Therapieaufwands
Orientierungssatz
1. In Teil B Nr 15.1 der VersMedV vom 10.12.2008 finden sich die Regelungen zur Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen bzw des GdB bei Diabetes mellitus. Der dortige Abschnitt ist im Wortlaut identisch mit der vorläufigen Neufassung der AHP 2008 durch das Rundschreiben des BMAS vom 22.9.2008 (IV C 3 - 48064 - 3), sodass nach wie vor allein die Einstellungsqualität des Diabetes und - noch - nicht ein die Teilhabe beeinträchtigender Therapieaufwand berücksichtigt ist (vgl. BSG, Urteil vom 23.April 2009 - B 9 SB 3/08 R).
2. Obgleich es sich bei der VersMedV vom 10.12.2008 um eine Rechtsverordnung und damit eine untergesetzlich Rechtsnorm handelt, bindet sie in diesem speziellen Fall die Rechtsanwender nicht, denn sie verstößt gegen § 69 Abs 1 S 4 SGB 9. Der medizinisch notwendige Aufwand für die Therapie einer Dauererkrankung wie des Diabetes mellitus kann je nach Art und notwendigen Zeitaufwand "Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft" haben. In diesem Fall ist er gesetzlich zwingend zu berücksichtigen (vgl. BSG, aaO).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 01. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) von 50 ab dem 28. Dezember 2006 (Antragstellung). Zwischenzeitlich ist ein GdB von 40 ab Juli 2008 anerkannt.
Der 1962 geborene Kläger ist verheiratet, von Beruf Kaufmann und als solcher vollschichtig tätig.
Am 28. Dezember 2006 beantragte der Kläger bei dem Beklagten unter Hinweis auf einen im September 2005 manifestierten, insulinpflichtigen Diabetes mellitus, eine chronische Durchfallerkrankung, eine erektile Dysfunktion und psychische Belastungen für ihn einen GdB festzustellen.
Der Beklagte holte ärztliche Berichte der behandelnden Ärzte, der Urologin H vom 22. Januar 2007, des Facharztes für Innere Medizin Dr. J vom 14. März 2007 und der Fachärztin für Innere Medizin Dr. Sch vom 26. April 2007 ein. Der daraufhin veranlassten gutachtlichen Stellungnahme des Arztes für Urologie Dr. S vom 24. Juni 2007 folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 11. Juli 2007 einen Gesamt-GdB von 30 ab dem 28. Dezember 2006 aufgrund folgender Behinderungen fest:
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- Diabetes mellitus (Einzel-GdB 30), |
- Impotenz (Einzel-GdB 10), |
- Darmfunktionsstörungen (Einzel-GdB 10). |
Gleichzeitig stellte der Beklagte fest, dass eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit (“d. E.„) gegeben sei. Den gegen den Bescheid erhobenen Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung einer weiteren gutachtlichen Stellungnahme der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. H vom 29. September 2007 mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2007 zurück.
Der Kläger hat am 30. November 2007 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er die Feststellung eines GdB von mindestens 50 begehrt hat. Der Kläger hat zu den Gerichtsakten eine Aufzeichnung erfolgter Blutzuckerkontrollen und von Stuhlgängen vom Februar 2008 sowie ein ärztliches Attest des Facharztes für Innere Medizin Dr. J vom 28. Juli 2008 zu den Gerichtsakten gereicht.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte, der Urologin Frau H vom 21. Februar 2008 sowie des Facharztes für Innere Medizin Dr. J vom 25. Februar 2008 und 29. Mai 2009 eingeholt. In letzterem hat der Arzt Dr. J darauf hingewiesen, dass im Juli 2008 - aufgrund bestätigter Diagnose eines Diabetes mellitus Typ I (statt Typ II) - eine Umstellung der Insulintherapie von einer konservativen Insulintherapie mit zweimaliger täglicher Gabe eines Mischinsulins zu einer intensivierten Insulintherapie mit mehrfach täglichen Insulininjektionen zu den Mahlzeiten (3 x täglich) und 2 x täglichen Injektionen eines Verzögerungsinsulins (zu festen Zeiten) erfolgt sei. Der Diabetes mellitus sei trotz Diät und mehrfachen Insulininjektionen pro Tag schwer einstellbar, es komme immer wieder zu erhöhten Blutzuckerwerten; der Kläger müsse 4 x täglich seinen Blutzucker messen. Die intensivierte Insulintherapie erfordere ein festes Zeitkontingent von ca. einer halben Stunde im Ablauf eines Tages.
Der Beklagte hat zu den vom Kläger eingereichten Unterlagen sowie den Befundberichten mit gutachtlichen Stellungnahmen der Fachärztin für Innere Medizin, Medizinaldirektorin R vom 22. Januar und 14. Mai 2008 sowie mit gutachtlicher Stellungnahme der Fachärztin für Innere Medizin Dr. G vom 6. Juli 2009 Stellung genommen, die aufgrund des Befundberichtes des behandelnden Arztes Dr. vom 29. Mai 2009 unter Hinweis auf die Umstellung der Insulintherapie eine Anhebung sowohl des Einzel-GdB für den bestehenden Diabetes mellitus als auch des Gesamt-GdB auf 40 ab Juli 2008 empfiehlt.
Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 2009 de...