Entscheidungsstichwort (Thema)
Waisenrentenanspruch. Europäischer Freiwilligendienst
Leitsatz (amtlich)
Während eines "Europäischen Freiwilligendienstes" besteht kein Anspruch auf Waisenrente.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 2004 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin die Zahlung einer Hinterbliebenenrente für die Zeit von August 2003 bis August 2004 beanspruchen kann.
Die Beklagte gewährte der 1983 geborenen Klägerin nach dem Tod ihres bei der Beklagten versicherten, 2001 verstorbenen Vaters mit Bescheid vom 17. April 2002 Halbwaisenrente für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Juli 2003 in Höhe von 237,81 € monatlich; die Befristung beruhte auf der Annahme, dass die Klägerin bis zum Juli 2003 die Schule (Gymnasium) besuchen werde.
Nach einem Hinweis der Beklagten vom 9. Juli 2003, dass sie die Zahlung der Waisenrente mit Ende Juli 2003 vorerst aufgrund der Beendigung der Schulausbildung eingestellt habe, übersandte die Klägerin eine Bescheinigung der S “B„ des D R K, wonach sie vom 1. September 2003 bis voraussichtlich zum 31. August 2004 “im Rahmen des EU-Aktionsprogramms JUGEND-Aktion 2 einen Europäischen Freiwilligendienst„ ableisten werde. Entsendeorganisation sei die D “B„ in B, Aufnahmeorganisation das B R K in L.
Nachdem die Beklagte daraufhin mit Brief vom 1. August 2003 mitgeteilt hatte, dass während der Teilnahme am “Europäischen Freiwilligendienst für junge Menschen„ kein Anspruch auf Waisenrente bestehe, erwiderte die Klägerin, dass sie umgehend “Leistungsklage sowie begleitend einen Antrag auf Halbwaisenrente stellen (werde)„, falls die Beklagte nicht bis zum 25. August 2003 mitteile, ob sie ihrer Leistungspflicht nachkommen werde. Sie bitte um eine baldige rechtsbehelfsfähige Entscheidung. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. September 2003 die Gewährung einer Waisenrente über den 31. Juli 2003 hinaus ab, da die Klägerin kein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr ableiste.
2003 schloss die Klägerin mit der S “B„ des D R K eine Vereinbarung über die Ableistung eines Europäischen Freiwilligendienstes, wonach sich die Klägerin bereit erklärte, in der Zeit vom 1. September 2003 bis 31. August 2004 einen anerkannten Europäischen Freiwilligendienst abzuleisten, für dessen Durchführung die Bestimmungen für das EU-Aktionsprogramm in seiner jeweiligen Fassung gelten würden.
Den am 30. September 2003 bei ihr eingegangenen Widerspruch der Klägerin gegen die Entscheidung vom 4. September 2003, zu dessen Begründung die Klägerin ausführte, dass ihre Tätigkeit für den Europäischen Freiwilligendienst für junge Menschen dem freiwilligen sozialen Jahr gleichzustellen sei, wies die Beklagte, der die S“B„ des DR K fernmündlich mitgeteilt hatte, “dass doch jeder (wisse), dass es sich beim Europäischen Freiwilligendienst nicht um ein freiwilliges soziales Jahr handele„, mit - der Klägerin in E bekanntgegebenem - Widerspruchsbescheid vom 11. März 2004 zurück.
Die Klägerin hat am 9. Juni 2004 Klage erhoben.
Die S “B„ des D R K hat dem Sozialgericht mitgeteilt, dass die Klägerin einen Europäischen Freiwilligendienst leiste, der ein ähnlicher Dienst wie das freiwillige soziale Jahr sei, allerdings “über die EU und nicht über das BM/FSFJ gefördert (werde)„.
Durch Urteil vom 15. November 2004 hat das Sozialgericht die Beklagte “unter Aufhebung des Bescheides vom 4. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 2004 verurteilt, der Klägerin für August 2003 bis August 2004 Halbwaisenrente zu gewähren„; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die Klägerin in der fraglichen Zeit weder eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert noch ein freiwilliges ökologisches Jahr geleistet habe. Bei dem Europäischen Freiwilligendienst handele es sich auch nicht um ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres, wie sich eindeutig aus der Antwort der S “B„ des D R K vom 5. Juli 2004 ergebe. Jedoch sei die Kammer der Ansicht, dass die Ähnlichkeit zwischen dem Europäischen Freiwilligendienst einerseits und dem freiwilligen sozialen Jahr andererseits so ausgeprägt sei, dass es gerechtfertigt erscheine, im Lichte einer verfassungskonformen Auslegung des § 48 Abs. 4 Nr. 2a des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB VI) davon auszugehen, dass auch der Europäische Freiwilligendienst zu einer Verlängerung der Bezugsdauer von Halbwaisenrente führe. Vor dem Hindergrund des Beschlusses Nr. 1686/98/EG des Europäischen Parlamentes vom 20. Juli 1998 sei die Kammer davon überzeugt, dass § 48 Abs. 4 Nr. 2a SGB VI eine planwidrige Lücke enthalte, soweit er den Europäischen Freiwilligendienst nicht erwähne. Diese könne im Wege der verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift dahin geschlossen ...