Entscheidungsstichwort (Thema)

Abrechnungsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Anwendung der Vorschriften des BGB auf Prüf- und Berichtigungsbescheide. Ausschlussfrist. Hemmung der Verjährung beim "Einschlafen" von Vertragsverhandlungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Vorschriften des BGB über die Hemmung der Verjährung sind entsprechend auf die Ausschlussfrist für den Erlass von Prüf- und Berichtigungsbescheiden anzuwenden.

2. Die Rechtsprechung des BGH zum "Einschlafen" von Vertragsverhandlungen ist auf die Ausschlussfrist für den Erlass von Prüf- und Berichtigungsbescheiden übertragbar.

 

Orientierungssatz

Zu Leitsatz 2 vgl BGH vom 6.11.2008 - IX ZR 158/07 = NJW 2009, 1806.

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. September 2010 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Honoraraufhebungs- und Rückforderungsbescheides als Ergebnis einer Plausibilitätsprüfung.

Der Kläger nimmt seit dem 1. Juli 1995 als Facharzt für Innere Medizin im hausärztlichen Bereich an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Bis zum 30. September 2004 war er mit Herrn K G, Facharzt für Innere Medizin im hausärztlichen Bereich, in einer Praxisgemeinschaft in B tätig. Seit Oktober 2004 sind beide Ärzte in einem Medizinischen Versorgungszentrum tätig.

Für das Quartal III/02 setzte die Beklagte das Honorar des Klägers auf 75.959,02 € fest. Der Honorarfestsetzungsbescheid wurde dem Kläger am 4. April 2003 bekanntgegeben. Im Sommer 2004 führte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten bei dem Kläger und Herrn G eine Plausibilitätsprüfung gemäß § 46 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) durch. Mit Schreiben vom 8. Juli 2004 teilte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten dem Kläger mit, dass ein außergewöhnlich hoher Anteil an gemeinsamen Patienten zwischen der Praxis des Klägers und der Praxis des Herrn G vorliege. In seiner Stellungnahme vom 8. August 2004 führte der Kläger aus, er und Herr G seien bemüht, ihre Praxen wirtschaftlich zu führen. Es sei unter anderen zu berücksichtigen, dass er als hausärztlicher Internist mit dem Schwerpunktgebiet Diabetes arbeite. Mit Schreiben vom 22. September 2006 teilte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten dem Kläger mit, dass er im Quartal III/02 unzutreffende Abrechnungen vorgenommen habe. Diese Annahme beruhe auf der Tatsache, dass er und Herr G in diesem Quartal 601 gemeinsame Patienten behandelt hätten, wobei nur für 86 Patienten eine gemeinsame Behandlung plausibel sei. Die verbleibenden 515 gemeinsamen Patienten seien aber von ihnen wie in einer Gemeinschaftspraxis behandelt worden. Der Plausibilitätsausschuss der Beklagten forderte den Kläger im Rahmen eines Vergleichsvorschlages zu einer Schadenswiedergutmachung i.H.v. 16.242,32 € gegen Beendigung der Plausibilitätsprüfung auf.

Mit Schreiben vom 26. September 2006 bat der Kläger um Prüfung, ob es akzeptabel sei, dass ein höherer Anteil der gemeinsamen Patienten als die vorgeschlagenen 10 % von der Schadensberechnung ausgenommen würden. Er schlage vor, diesen Anteil auf beispielsweise 30 % festzulegen.

Der Plausibilitätsausschuss der Beklagten bestätigte mit Schreiben vom 6. Dezember 2006 den Eingang des Schreibens vom 26. September 2006. Er gehe davon aus, dass der Kläger das Vergleichsangebot nicht annehme. Mit weiterem Schreiben vom 6. Dezember 2006 erinnerte die Beklagte den Kläger an seine Stellungnahme hinsichtlich der Plausibilitätsprüfung für das Quartal IV/2002.

Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 8. Dezember 2006 erneut an die Beklagte. Er zog sein Vergleichsangebot vom 26. September 2006 zurück und bat um Zusendung eines neuen Vergleichsangebotes auf der Grundlage einer vergleichenden Betrachtung einer Abrechnung als Praxisgemeinschaft gegenüber einer Abrechnung als Gemeinschaftspraxis. Aus der Differenz ergebe sich die Schadenshöhe.

Ab Mai 2007 gab es zwischen dem Kläger und der Beklagten weitere Schriftwechsel, die aber die Quartale I/03 bis I/05 betrafen. Am 17. Juli 2007 leitete die Beklagte eine interne Neuberechnung des Honorars des Klägers ab dem Quartal III/2002 ein. Eine Mitteilung hierüber an den Kläger erfolgte nicht.

Mit Schreiben vom 22. April 2008 bot die Beklagte dem Kläger an, das Plausibilitätsverfahren gegen Zahlung einer Schadenswiedergutmachung i.H.v. 5.000,00 € einzustellen.

Am 24. April 2008 teilte der Kläger mit, er werde das Vergleichsangebot annehmen, sofern keine Verjährung eingetreten sei. Nach seinem Informationsstand sei die Rückzahlungsforderung bezüglich des Quartals III/02 verjährt.

Mit Schreiben vom 25. April 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Rückforderungsansprüche Ihrer Ansicht nach noch nicht verjährt seien. Zur Begründung führte sie aus, dass die vierjährige Ausschlussfrist aufgrund schwebender Vergleichsverhandlungen gehemmt gewesen und daher noch nicht verstrichen sei. Sie forderte den Kläger zur Überweisung des "verg...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?