Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Honoraraufhebung und -rückforderung als Ergebnis der Plausibilitätsprüfung vor dem Hintergrund eines Missbrauchs der Rechtsform der Praxisgemeinschaft. Hemmung von verjährungsrechtlichen Ausschlussfristen für den Erlass von Honorarberichtigungsbescheiden. "Einschlafenlassen" von Vergleichsverhandlungen. Ausschlussfrist für sachlich-rechnerische Berichtigungen. Untätigkeit. Vergleichsverhandlungen

 

Orientierungssatz

1. Für sachlich-rechnerische Berichtigungen iS von § 45 Abs 2 S 1 BMV-Ä bzw § 34 Abs 4 S 1 und 2 EKV-Ä gilt eine vierjährige Ausschlussfrist, innerhalb derer der Richtigstellungsbescheid der Beklagten dem Betroffenen bekannt gegeben werden muss. Nach Ablauf der Ausschlussfrist ist eine sachlich-rechnerische Richtigstellung auf der Grundlage der bundesmantelvertraglichen Vorschriften ausgeschlossen (vgl BSG vom 6.9.2006 - B 6 KA 40/05 R = BSGE 94, 87 = SozR 4-2500 § 106 Nr 15).

2. Eine Hemmung von Ausschlussfristen - abgesehen von dem Fall einer gerichtlichen Rechtsverfolgung - ist nicht nur dann möglich, wenn zuvor ein Bescheid erlassen worden ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Hemmungsvorschriften auch auf andere Sachverhalte zu übertragen sind, insbesondere auf denjenigen, wenn

 zwischen den Beteiligten Vergleichsverhandlungen geführt werden. Auch in diesem Fall besteht kein Vertrauensschutz auf den Bestand des Status quo.

3. Die Untätigkeit einer an den Vergleichsverhandlungen beteiligten Partei über neun Monate hinweg führt zu einem "Einschlafen" der Vergleichsverhandlungen mit der Folge, dass die Ausschlussfristen für eine Honorarrückforderung nicht weiter gehemmt werden.

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 13. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2009 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit eines Honoraraufhebungs- und Rückforderungsbescheides als Ergebnis der Plausibilitätsprüfung, vor dem Hintergrund eines von der Beklagten festgestellten Missbrauchs der Rechtsform der Praxisgemeinschaft.

Der Kläger nimmt seit dem 1. Juli 1995 als Facharzt für Innere Medizin im hausärztlichen Bereich an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Bis zum 30. September 2004 war er mit Herrn K G, Facharzt für Innere Medizin im hausärztlichen Bereich, in einer Praxisgemeinschaft in der B Straße .. in …B im Verwaltungsbezirk T-S tätig. Seit dem 1. Oktober 2004 ist er unter anderem gemeinsam mit Herrn G in einem Medizinischen Versorgungszentrum tätig.

Für das Quartal III/2002 setzte die Beklagte im Honorarfestsetzungsbescheid das Honorar für den Kläger auf 75.959,02 Euro fest. Der Honorarfestsetzungsbescheid ist dem Kläger am 4. April 2003 zugestellt worden.

Im Sommer 2004 führte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten bei dem Kläger und Herrn G eine Plausibilitätsprüfung im Sinne von § 46 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) durch. Mit Schreiben vom 8. Juli 2004 äußerte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten gegenüber dem Kläger, dass ein außergewöhnlich hoher Anteil an gemeinsamen Patienten zwischen der Praxis des Klägers und der Praxis des Herrn G vorliege. Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts forderte der Plausibilitätsausschuss den Kläger zu einer Stellungnahme auf.

Mit Schreiben vom 8. August 2004 nahm der Kläger gegenüber dem Plausibilitätsausschuss Stellung. Der Plausibilitätsausschuss der Beklagten teilte dem Kläger mit Schreiben vom 22. September 2006 mit, dass er im Quartal III/2002 unzutreffende Abrechnungen vorgenommen habe. Diese Annahme beruhe auf der Tatsache, dass der Kläger und Herr G in diesem Quartal 601 “gemeinsame Patienten„ behandelt hätten, wovon jedoch nur für 86 Patienten eine gemeinsame Behandlung plausibel gewesen sei. Durch die Abrechnung für die übrigen 515 gemeinsamen Patienten habe er sich vertragsärztliches Honorar verschafft, das ihm nicht zustehe. Der Plausibilitätsausschuss der Beklagten forderte den Kläger im Rahmen eines Vergleichsvorschlags zu einer Schadenswiedergutmachung in Höhe von 16.242,32 Euro gegen Beendigung der Plausibilitätsprüfung auf.

Mit Schreiben vom 26. September 2006 bat der Kläger darum, ihm einen höheren Anteil als 10% an den “gemeinsamen Patienten„ mit Herrn G zu belassen. Er schlug 30% vor.

Der Plausibilitätsausschuss der Beklagten bestätigte mit Schreiben vom 6. Dezember 2006 den Eingang des Schreibens vom 26. September 2006 und interpretierte das Schreiben dahingehend, dass das das Vergleichsangebot vom 22. September 2006 nicht angenommen werde. Der Kläger wandte sich daraufhin mit Schreiben vom 8. Dezember 2006 erneut an die Beklagte. Er zog sein Vergleichsangebot vom 26. September 2006 zurück und bat um Zusendung eines neuen Vergleichsangebotes auf der Grundlage eines geänderten Berechnungsmodells.

Mehr als ein Jahr und vier Monate später bot die Leiterin der Abteilung Plausibilitätsprüfung der Beklagten dem Kläger mit Schreiben vom 22. April 2008 an, das Plausibilit...

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