Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Soldatenversorgung. Wehrdienstbeschädigung. Radaroperator in den siebziger Jahren. Radarstrahlung. Spätfolge. akute myeloische Leukämie. Berufskrankheit gemäß BKV Anl 1 Nr 2402. ursächlicher Zusammenhang. radiumhaltige Leuchtfarbe. Bericht der Radarkommission. Mindeststrahlungsdosis bezogen auf das Knochenmark. Kannversorgung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für eine von einem ehemaligen Soldaten der Bundeswehr geltend gemachte Einwirkung von ionisierenden Strahlen ist die Berufskrankheit Nr 2402 der Anlage 1 zur BKV ("Erkrankung durch ionisierende Strahlen") einschlägig. Die Anerkennung der Berufskrankheit Nr 2402 der Anlage 1 zur BKV setzt den Nachweis einer entsprechenden Strahlendosis durch Ganz- oder Teilkörperbestrahlung, Kontamination oder Inkorporation voraus. Bei akuten Leukämien, myelodysplastischen Syndromen und chronischen myeloischen Leukämien ist die ursächliche Bedeutung von ionisierenden Strahlen in einer Knochenmarkdosis von mindestens 0,2 Sv hinreichend geklärt.

2. Ungeachtet der exakten rechtlichen Qualität des Berichts der Radarkommission vom 2.7.2003 ist davon auszugehen, dass bei Erfüllen der von der Radarkommission formulierten Voraussetzungen vom Vorliegen der schädigenden Einwirkung einerseits und von der Kausalität dieser Einwirkung für die dann eingetretene Erkrankung ausgegangen werden muss.

3. Die Annahme einer Wehrdienstbeschädigung durch ionisierende Strahlen setzt regelmäßig eine Tätigkeit des Soldaten an einem Radargerät der SGR-Familie (insbesondere des SGR 103) voraus. Das ist bei einem Operator der Fachrichtung 23 nicht ohne weiteres anzunehmen.

4. Ein Anspruch aufgrund der Verwendung Ra-226-haltiger Leuchtfarbe setzt grundsätzlich als spezifisch qualifizierende Erkrankung Knochenkrebs oder Lungenkrebs voraus.

5. Eine Kann-Versorgung setzt ua das Einwirken ionisierender Strahlen voraus, deren Menge nicht so gering war, dass eine wesentliche Bedeutung nicht diskutiert werden kann. Damit ist Voraussetzung eine Strahlenbelastung von mindestens 0,02 Sv=20 mSv und zwar bei der Leukämie bezogen auf das Knochenmark.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander für den gesamten Rechtsstreit nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung einer Erkrankung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) und Versorgung nach Maßgabe des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG).

Der 1959 geborene Kläger, der seit 1990 als Jurist, seit 1992 als Rechtsanwalt und seit 2004 auch als Notar tätig ist, stand vom 1. Oktober 1978 bis zum 30. September 1980 als Soldat im Dienstverhältnis bei der Beklagten, wobei er zwischen dem 2. Oktober 1978 und dem 10. Januar 1979 seinen Grundwehrdienst abgeleistet hatte, ehe er anschließend als Soldat auf Zeit übernommen wurde. Dabei war er zwischen dem 2. Oktober 1978 und dem 2. Januar 1979 bei der Marineortungsschule und danach vom 5. Januar 1979 bis zu seiner Entlassung als Ortungsgast auf dem Zerstörer „Schleswig-Holstein“ eingesetzt. Am 11. Februar 2005 war bei dem Kläger eine akute myeloische Leukämie (AML) diagnostiziert worden, wegen der er im Charité Campus Benjamin Franklin vom 11. Februar bis zum 31. März 2005 und noch mal vom 11. April bis zum 8. Mai 2005 (Blutstammzelltransplantation am 22. April 2005) stationär behandelt worden war.

Am 2. März 2005 beantragte der Kläger bei dem Land Berlin, vertreten durch das Landesamt für Gesundheit und Soziales, eine Beschädigtenversorgung. Dabei gab er an, seine jetzige Erkrankung sei auf ionisierende Strahlungen aus den bedienten Radargeräten zurückzuführen. Er sei als Operator tätig gewesen, wobei ihm das Gerät, das er bedient habe, nicht bekannt sei. Es habe aber während der Übungsfahrten ein durchgehender Sendebetrieb bestanden. Es habe sich um ein stationäres Gerät gehandelt, an dem er zur Flugüberwachung und zur Zielortung/Gefechtsüberwachung eingesetzt gewesen sei. Dabei habe er als Arbeiten die Einschaltung, einen Entfernungsabgleich und die Zielortung durchgeführt. Auf Übungsfahrten (längstens Januar bis Mai 1980) habe er Vier- oder bei Gefechtsübungen Sechs-Stunden-Schichten in der Operationszentrale gehabt, davon sei er bis zu dreieinhalb Stunden am Radar tätig gewesen, ansonsten direkt daneben. Er sei Röntgen- und Nuklidstrahlungen ausgesetzt gewesen.

Das Land Berlin erklärte dem Kläger mit Schreiben vom 3. März 2005, die Akten zuständigkeitshalber an die Beklagte weiterzuleiten, damit diese über den Ausgleich nach § 85 SVG entscheide.

In einem Schreiben vom 15. August 2005 an die Beklagte, der mittlerweile der Vorgang durch das Land Berlin zugeleitet worden war, trug der Kläger vor, von Anfang Januar 1979 bis Ende September 1980 Dienst als Ortungsgast (Ausbildungsreihe 23) in der Operationszentrale auf dem Zerstörer „Schleswig-Holstein“ der Hamburg-Klasse geleistet zu haben. Bis Ende März 197...

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