Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Einkommenseinsatz. Absetzung von Beiträgen für eine Sterbegeldversicherung. Angemessenheit der Versicherung. Abschluss vor Beginn des Leistungsbezuges
Leitsatz (amtlich)
1. Der Gesetzgeber hat mit der Änderung des § 33 Abs 2 SGB XII die grundsätzliche Angemessenheit einer Sterbegeldversicherung im Rahmen des § 82 Abs 2 Nr 3 SGB XII anerkannt.
2. Für eine Berücksichtigung der Beiträge zur Sterbegeldversicherung gemäß § 82 Abs 2 Nr 3 SGB XII ist nicht Voraussetzung, dass die Sterbegeldversicherung bereits vor Beginn des Leistungsbezuges abgeschlossen worden ist.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. September 2020 sowie der Bescheid des Beklagten vom 9. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Januar 2019 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, für den Fall eines Abschlusses einer Sterbegeldversicherung durch die Klägerin die Beiträge für eine der beiden günstigsten Versicherungen, die keine Gesundheitsprüfung, eine Wartezeit von nur einem Jahr und eine Versicherungssumme von 5.000 € vorsieht, bei der Berechnung der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung vom Einkommen abzusetzen.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Berücksichtigung von Beiträgen zu einer noch abzuschließenden Sterbegeldversicherung bei der Berechnung ihrer Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GruSi) nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bzw. die Feststellung, dass der Beklagte zu einer entsprechenden Berücksichtigung verpflichtet ist.
Für die 1960 geborene Klägerin, die an einem Guillain-Barré-Syndrom (GBS) bzw. einem Zustand nach GBS leidet, sind vom Versorgungsamt unbefristet ein Grad der Behinderung von 70 und die Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und „B“ (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson) festgestellt. Der Facharzt für Neurologie Prof. Dr. W bescheinigte am 28. Juni 2017 einen Zustand nach GBS in der Kindheit mit Defektheilung der Akuterkrankung einer immunvermittelten Neuritis und den Symptomen einer verbleibenden chronischen Polyneuropathie mit schweren Paresen und einer schweren Gangstörung sowie eine Anpassungsstörung. Die Klägerin bezieht von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund seit dem 1. Februar 2018 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer. Der Zahlbetrag der Rente belief sich ab Juli 2019 auf 241,71 € netto monatlich, aktuell, d.h. ab dem 1. Juli 2022, beträgt er 262,69 € monatlich. Sie bewohnt eine Dreizimmerwohnung von 85,51 m² in der Estraße in B, für die die Miete einschließlich Betriebskostenvorauszahlung aktuell 617,60 € monatlich beträgt zuzüglich 80,00 € Heizkostenvorauszahlung. Sie zahlt Beiträge zu einer Haftpflichtversicherung, die immer im Mai fällig werden und im Jahr 2022 81,16 € jährlich betrugen, sowie zu einer Hausratversicherung, die immer im Dezember eines Jahres fällig werden und zuletzt 104,77 € jährlich betrugen. Der Beklagte setzte diese Beiträge bei der Berechnung der Leistungen jeweils im Fälligkeitsmonat vom Einkommen der Rente ab. Die Techniker Krankenkasse - Pflegeversicherung - bewilligte ihr ab dem 8. Januar 2018 den Entlastungsbetrag in Höhe von 125,- € bei Pflegegrad 1. Die Klägerin ist vermögenslos. Seit dem 1. Dezember 2018 gewährt ihr der Beklagte Leistungen der GruSi, zunächst mit Bescheid vom 22. November 2018 für die Zeit bis zum 30. November 2019, anschließend mit Bescheid vom 7. November 2019 für die Zeit vom 1. Dezember 2019 bis zum 30. November 2020, mit Bescheid vom 10. November 2020 für die Zeit bis zum 30. November 2021, mit Bescheid vom 23. Dezember 2021 bis zum 30. November 2022. Dieser Bescheid wurde mit Bescheid vom 22. April 2022 geändert für die Zeit ab dem 1. Mai 2022, die Leistungen betrugen 973,59 € für Juni 2022.
Mit Schreiben vom 28. Dezember 2018 beantragte die Klägerin die Übernahme einer Sterbegeldversicherung. Sie leide an einer schleichend fortschreitenden Nervenerkrankung. Deshalb sei es für sie wichtig, für ihren Sterbefall vorzubeugen. Ihre beiden Töchter (geboren 1994 und 1997) seien finanziell nicht in der Lage, die Beerdigungskosten zu tragen, da sie noch im Studium bzw. ausbildungssuchend seien. Diesen ersten Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2019 ab.
Mit Schreiben vom 6. Juli 2019 beantragte die Klägerin die Kostenübernahme für ein „günstigeres Sterbegeldversicherungsprodukt“. Die Versicherungssumme dieses Tarifs bei der L betrug 5.000 € sowie 5.000 € bei Unfalltod. Der monatliche Beitrag sollte sich auf 27,32 € brutto belaufen, der Zahlbetrag auf 24,63 €. Das Ende der...