Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Abrechnungsprüfung. Chronikerzuschlag. Erfordernis der ärztlichen Behandlung wenigstens ein Jahr lang und mindestens einmal pro Quartal. unmittelbarer Arzt-Patienten-Kontakt. Feststellungslast des Vertragsarztes
Leitsatz (amtlich)
1. Die Abrechenbarkeit des Chronikerzuschlages nach GOP 03212 EBM (juris: EBM-Ä 2008) erfordert nach § 2 Abs 2 der Chroniker-Richtlinie des G-BA (juris: CHrRL) eine ärztliche Behandlung wenigstens ein Jahr lang und mindestens einmal pro Quartal.
2. Ärztliche Behandlung in diesem Sinne liegt nur vor bei unmittelbarem Arzt-Patienten-Kontakt und nicht etwa bei dauerhafter ärztlich verordneter Medikamenteneinnahme.
3. Als Anspruchsteller trifft den Vertragsarzt grundsätzlich die Feststellungslast hinsichtlich der Voraussetzungen für seinen Vergütungsanspruch. Das gilt vor allem, wenn sich der Arzt auf für ihn günstige Tatsachen berufen will, die allein ihm bekannt sind oder nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden können.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juli 2019 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Berichtigung des Honorars für die Quartale I/10 bis IV/12 wegen fehlerhafter Abrechnung des „Chroniker-Zuschlages“ nach GOP 03212 EBM.
Die Klägerin betreibt die Poliklinik „H“, die als Einrichtung nach § 311 Abs. 2 SGB V a.F. seit 1. April 2005 an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. Im streitigen Zeitraum bestand die Poliklinik aus acht Ärztinnen und Ärzten, darunter Dr. A R, Fachärztin für Innere Medizin, tätig im Rahmen der hausärztlichen Versorgung mit einer diabetologischen Schwerpunktpraxis.
Im Februar 2014 teilte die Beklagte der Klägerin im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung u.a. mit, dass Frau Dr. R mit dem Zeitaufwand für ihre Leistungserbringung in den Quartalen I/10 bis IV/12 den Höchstumfang ihrer Beschäftigung überschritten habe.
Als Ergebnis der Plausibilitätsprüfung empfahl der Plausibilitätsausschuss in einem Prüfbericht vom 14. Juli 2014, das Honorar der Klägerin für die Quartale I/10 bis IV/12 um insgesamt 69.382,44 Euro (brutto) zu berichtigen. Zwar zeige sich bei genauerer Betrachtung für Frau Dr. R keine Überschreitung des Höchstumfangs der Beschäftigung, doch habe sich als ergänzende Tatsachenfeststellung ergeben, dass der Chroniker-Zuschlag nach GOP 03212 EBM von dieser Ärztin in mehreren hundert Fällen je Quartal fehlerhaft abgerechnet worden sei: Zu kürzen sei diese GOP in allen Behandlungsfällen, in denen die Behandlung der Patienten nicht in jedem der vier Quartale vor der Abrechnung durch die Poliklinik erfolgt sei.
Mit Bescheid vom 30. Juli 2014 kürzte die Beklagte hierauf das Honorar der Klägerin für die Quartale I/10 bis IV/12 um insgesamt 69.382,44 Euro (brutto) bzw. 68.134,04 Euro (netto); wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf Bl. 160 des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen. Als Anlage beigefügt war dem Bescheid eine anonymisierte Aufstellung aller Patientinnen und Patienten, für die Frau Dr. R den „Chroniker-Zuschlag“ nach GOP 03212 EBM zur Abrechnung gebracht hatte und für die eine Vorbehandlung nur in weniger als vier Vorquartalen zu verzeichnen war. Auf Bl. 81 bis 159 des Verwaltungsvorgangs der Beklagten wird Bezug genommen. Die Abrechnung des Chroniker-Zuschlages erfordere eine ärztliche Behandlung des jeweiligen Patienten in jedem der vier Quartale vor der Abrechnung. Im Einzelnen wurde der ausschließlich von Frau Dr. R abgerechnete Chroniker-Zuschlag in folgendem Umfang gekürzt:
|
Quartal |
Arztfälle Dr. R |
Anzahl abgerechnete GOP Nr. 03212 |
Anzahl gekürzte GOP Nr. 03212 |
I/10 |
1.003 |
972 |
312 |
II/10 |
993 |
973 |
323 |
III/10 |
980 |
922 |
288 |
IV/10 |
1.003 |
951 |
326 |
I/11 |
987 |
934 |
328 |
II/11 |
973 |
909 |
344 |
III/11 |
941 |
889 |
360 |
IV/11 |
1.027 |
968 |
423 |
I/12 |
975 |
972 |
412 |
II/12 |
979 |
955 |
383 |
III/12 |
967 |
926 |
354 |
IV/12 |
1.011 |
917 |
321 |
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2015 zurück. Die textliche Umschreibung von GOP 03212 EBM in Verbindung mit § 2 Abs. 2 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Umsetzung der Regelungen in § 62 für schwerwiegend chronisch Erkrankte („Chroniker-Richtlinie“) erfordere, dass der Patient für die Abrechenbarkeit der GOP 03212 wenigstens ein Jahr lang mindestens einmal pro Quartal ärztlich behandelt worden sein müsse. Der Ausgangsbescheid habe im Einzelnen patientenbezogen belegt, in welchen Fällen Versicherte in den Vorquartalen nur maximal dreimal bei der Klägerin in Behandlung gewesen seien. Exemplarische Überprüfungen bestätigten dies. Sofern die Klägerin geltend mache, die Vorbe...